
Neutrinos wiegen weniger als 0,45 Elektronvolt: Wichtige Erkenntnisse

Blick ins Innere des KATRIN-Hauptspektrometers (Foto: M. Zacher/KATRIN Coll.)
Das internationale KArlsruhe TRItium Neutrino Experiment (KATRIN) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat erneut Maßstäbe gesetzt: Aus den aktuellen Daten lässt sich eine Obergrenze von 0,45 Elektronenvolt/c2 (entspricht 8 x 10E-37 Kilogramm) für die Masse des Neutrinos ableiten. Damit stellt KATRIN, das die Neutrinomasse mit einer modellunabhängigen Methode im Labor vermisst, erneut einen Weltrekord auf. Die Ergebnisse haben die Forschenden in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht (DOI: 10.1126/science.adq9592).
Neutrinos gehören zu den rätselhaftesten Teilchen des Universums. Sie sind allgegenwärtig, reagieren aber äußerst selten mit Materie. In der Kosmologie beeinflussen Neutrinos die Entwicklung großräumiger Strukturen, während sie in der Teilchenphysik aufgrund ihrer winzigen Masse als Indikatoren für bisher unbekannte physikalische Prozesse dienen. Die präzise Messung der Neutrinomasse ist daher essenziell für ein vollständiges Verständnis der fundamentalen Gesetze der Natur.
Genau hier setzt das KATRIN-Experiment mit seinen internationalen Partnern an. KATRIN nutzt den Beta-Zerfall von Tritium, einem instabilen Wasserstoffisotop, um mithilfe der Energieverteilung der entstehenden Elektronen die Neutrinomasse zu messen. Um dies zu erreichen, sind hochentwickelte technische Komponenten notwendig: Das 70 Meter lange Experiment beherbergt eine intensive Tritiumquelle sowie ein hochauflösendes Spektrometer mit einem Durchmesser von zehn Metern. Diese Technologie ermöglicht eine bislang unerreichte Präzision bei der Messung der Neutrinomasse.
Mit den aktuellen Daten aus dem KATRIN-Experiment konnten die Forschenden für die Neutrinomasse eine Obergrenze von 0,45 Elektronenvolt/c2 (entspricht 8 x 10E-37 Kilogramm) ableiten. Gegenüber den letzten Ergebnissen aus dem Jahr 2022 konnten sie die Obergrenze damit fast um einen Faktor zwei senken.
Auswertung der Daten

Die Qualität der ersten Datensätze seit dem Start der Messungen im Jahr 2019 konnte über die letzten Jahre kontinuierlich verbessert werden. „Wir haben fünf Kampagnen mit gut 250 Messtagen aus dem Zeitraum von 2019 bis 2021 analysiert – das entspricht etwa einem Viertel der insgesamt mit KATRIN erwarteten Datennahme“, erklärt Professorin Kathrin Valerius vom Institut für Astroteilchenphysik des KIT, eine der beiden Co-Sprecherinnen des Experiments. „In jeder Messkampagne haben wir dazugelernt und die experimentellen Bedingungen weiter optimiert“, ergänzt Professorin Susanne Mertens vom Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) und der Technische Universität München (TUM).
Die Auswertung der komplexen Daten stellte für das internationale Datenanalyseteam eine Herausforderung dar. „Die Analyse der KATRIN-Daten ist hochanspruchsvoll, da eine bisher noch nie erreichte Genauigkeit benötigt wird“, betont Dr. Alexey Lokhov vom Institut für Experimentelle Teilchenphysik des KIT, Co-Analysekoordinator. „Wir benötigen den Einsatz hochmoderner Analysemethoden, wobei insbesondere Künstliche Intelligenz eine entscheidende Rolle spielt“, fügt Dr. Christoph Wiesinger vom MPIK und der TUM, ebenfalls Co-Analysekoordinator, hinzu.
Ausblick auf künftige Messungen
„Unsere Messungen zur Neutrinomasse werden noch bis Ende 2025 andauern. Durch die kontinuierliche Verbesserung des Experiments und der Analyse, sowie durch eine größere Datenmenge erwarten wir eine noch höhere Sensitivität – und möglicherweise bahnbrechende neue Erkenntnisse“, blickt das KATRIN-Team optimistisch in die Zukunft. Schon jetzt führt KATRIN das weltweite Feld der direkten Neutrinomassenmessung an und hat mit den ersten Daten die Ergebnisse früherer Experimente um das Vierfache übertroffen. Das aktuelle Resultat zeigt, dass Neutrinos mindestens eine Million Mal leichter sind als Elektronen, die leichtesten geladenen Elementarteilchen. Diesen enormen Massenunterschied zu erklären, bleibt eine Herausforderung für die Theoretische Teilchenphysik.
Neben der präzisen Neutrinomassenmessung plant KATRIN bereits die nächste Phase. Ab 2026 wird ein neues Detektorsystem, TRISTAN, installiert. Dieses Upgrade des Experiments ermöglicht die Suche nach sogenannten sterilen Neutrinos im Kiloelektronenvolt/c2-Massenbereich. Sterile Neutrinos sind bisher hypothetische Elementarteilchen, die nochmals deutlich schwächer interagieren als die bekannten Neutrinos und geeignete Kandidaten für die Dunkle Materie sind. Darüber hinaus wird mit KATRIN++ ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm initiiert, um Konzepte für ein Experiment der nächsten Generation zu erarbeiten, das eine noch präzisere direkte Messung der Neutrinomasse ermöglichen soll.
Die KATRIN Kollaboration
An KATRIN arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von über 20 Institutionen aus 7 Ländern mit.
Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.
Original publication
KATRIN Collaboration, Max Aker, Dominic Batzler, Armen Beglarian, Jan Behrens, Justus Beisenkötter, Matteo Biassoni, Benedikt Bieringer, Yanina Biondi, Fabian Block, Steffen Bobien, Matthias Böttcher, Beate Bornschein, Lutz Bornschein, Tom S. Caldwell, Marco Carminati, Auttakit Chatrabhuti, Suren Chilingaryan, Byron A. Daniel, Karol Debowski, Martin Descher, Deseada Díaz Barrero, Peter J. Doe, Otokar Dragoun, Guido Drexlin, Frank Edzards, Klaus Eitel, Enrico Ellinger, Ralph Engel, Sanshiro Enomoto, Arne Felden, Caroline Fengler, Carlo Fiorini, Joseph A. Formaggio, Christian Forstner, Florian M. Fränkle, Kevin Gauda, Andrew S. Gavin, Woosik Gil, Ferenc Glück, Steffen Grohmann, Robin Grössle, Rainer Gumbsheimer, Nathanael Gutknecht, Volker Hannen, Leonard Hasselmann, Norman Haußmann, Klaus Helbing, Hanna Henke, Svenja Heyns, Stephanie Hickford, Roman Hiller, David Hillesheimer, Dominic Hinz, Thomas Höhn, Anton Huber, Alexander Jansen, Christian Karl, Jonas Kellerer, Khanchai Khosonthongkee, Matthias Kleifges, Manuel Klein, Joshua Kohpeiß, Christoph Köhler, Leonard Köllenberger, Andreas Kopmann, Neven Kovač, Alojz Kovalík, Holger Krause, Luisa La Cascio, Thierry Lasserre, Joscha Lauer, Thanh-Long Le, Ondřej Lebeda, Bjoern Lehnert, Gen Li, Alexey Lokhov, Moritz Machatschek, Martin Mark, Alexander Marsteller, Eric L. Martin, Christin Melzer, Susanne Mertens, Shailaja Mohanty, Jalal Mostafa, Klaus Müller, Andrea Nava, Holger Neumann, Simon Niemes, Anthony Onillon, Diana S. Parno, Maura Pavan, Udomsilp Pinsook, Alan W. P. Poon, Jose Manuel Lopez Poyato, Stefano Pozzi, Florian Priester, Jan Ráliš, Shivani Ramachandran, R. G. Hamish Robertson, Caroline Rodenbeck, Marco Röllig, Carsten Röttele, Milos Ryšavý, Rudolf Sack, Alejandro Saenz, Richard Salomon, Peter Schäfer, Magnus Schlösser, Klaus Schlösser, Lisa Schlüter, Sonja Schneidewind, Ulrich Schnurr, Michael Schrank, Jannis Schürmann, Ann-Kathrin Schütz, Alessandro Schwemmer, Adrian Schwenck, Michal Šefčík, Daniel Siegmann, Frank Simon, Felix Spanier, Daniela Spreng, Warintorn Sreethawong, Markus Steidl, Jaroslav Štorek, Xaver Stribl, Michael Sturm, Narumon Suwonjandee, Nicholas Tan Jerome, Helmut H. Telle, Larisa A. Thorne, Thomas Thümmler, Simon Tirolf, Nikita Titov, Igor Tkachev, Korbinian Urban, Kathrin Valerius, Drahoslav Vénos, Christian Weinheimer, Stefan Welte, Jürgen Wendel, Christoph Wiesinger, John F. Wilkerson, Joachim Wolf, Sascha Wüstling, Johanna Wydra, Weiran Xu, Sergey Zadorozhny, and Genrich Zeller
Journal: Science
Article Title: Direct neutrino-mass measurement based on 259 days of KATRIN data
Article Publication Date: 10 Apr 2025
DOI: https://www.science.org/doi/10.1126/science.adq9592
Weitere Informationen:
www.katrin.kit.edu
Virtueller Rundgang durch das KATRIN-Experiment:
https://vr.nawik.de/
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Pressereferent
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Source: IDW