Medizin aus dem Meer

Was hat ein Schwamm mit einem an Leukämie erkrankten Patienten zu tun? Auf den ersten Blick nichts. Erst wenn man den Meeresbewohner genauer unter die Lupe nimmt, findet sich das verbindende Glied: „Im Meer lebende Schwämme sind für die moderne Biotechnologie von herausragender Bedeutung“, sagt Gerhard Bringmann, Inhaber des Lehrstuhls für Organische Chemie I der Universität Würzburg. Was die Tiere – denn dazu zählen Schwämme – für einen Naturstoffchemiker so interessant macht, ist ihr besonderes Abwehrsystem.

„Bis zu sechs Milliarden Bakterien können Schwämme täglich durch ihren Körper filtrieren“, erklärt Bringmann. Damit diese Bakterien sich nicht als Krankheitserreger betätigen können, haben die Schwämme zum einen ein sehr effizientes Immunsystem entwickelt, zum anderen produzieren sie auch bestimmte chemische Substanzen, so genannte Sekundärmetabolite, mit denen sie sich gezielt gegen Mikroorganismen und größere Fraßfeinde zur Wehr setzen können. Darüber hinaus bilden Mikroorganismen, die in den Schwämmen leben, ebenfalls potente Abwehrstoffe gegen giftige Bakterien und Pilze.

„Solche Naturstoffe aus Schwämmen und assoziierten Mikroorganismen bieten somit große Chancen für neue potenzielle Arzneistoffe“, sagt Bringmann. Welche Stoffe das sind, und welches Potenzial in ihnen steckt, das untersuchen die Mitglieder des Deutschen Exzellenz-Zentrums „Marine Schwämme – BIOTECmarin“, zu denen die jetzt ausgezeichneten Forscher gehören. Sie identifizieren, isolieren, untersuchen und testen die Substanzen, die sie in Schwämmen entdecken, auf ihre biologischen Aktivitäten. Erweist sich der Stoff als vielversprechend, optimieren die Wissenschaftler ihn im Hinblick auf seine pharmakologischen Eigenschaften und suchen nach Verfahren, ihn in größeren Mengen herzustellen.

Der erste neuartige Sekundärmetabolit, der in diesem interdisziplinären Forschungsverbund gefunden wurde, ist das Sorbicillacton A. „Es handelt sich um einen chemisch und biosynthetisch beispiellosen und vor allem pharmakologisch aussichtsreichen Naturstoff, der sich besonders durch eine hohe Wirksamkeit gegenüber Leukämiezellen auszeichnet“, sagt Bringmann. Entdeckt haben den Wirkstoff und sein pharmazeutisches Potenzial die drei Forscher dank einer einzigartigen interdisziplinären Zusammenarbeit.

Im Labor von Gerhard Bringmann wurde die Substanz entdeckt und ihre neuartige Struktur aufgeklärt. Werner E.G. Müller erkannte ihre hohe antileukämische Wirkung bei zugleich geringer Toxizität, und Johannes F. Imhoff vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel entwickelte Verfahren, mit denen sich Sorbicillacton A im 100-Gramm-Maßstab und darüber hinaus herstellen lässt. Schließlich wurde in enger Kooperation der Würzburger und der Kieler Arbeitsgruppen auch noch die Biosynthese des Wirkstoffs aufgeklärt, also der chemische Weg, auf dem die lebenden Organismen die Substanz produzieren. „So wurde mit Sorbicillacton A ein strukturell neuartiger und pharmakologisch viel versprechender Naturstoff aufgefunden, der sich durch eine hohe spezifische Wirksamkeit gegenüber Leukämiezellen auszeichnet“, heißt es in der Laudatio zur Preisverleihung.

Inzwischen haben sich die Wissenschaftler den weltweiten Patentschutz für diesen Wirkstoff gesichert; erste präklinische Untersuchungen konnten sie bereits erfolgreich abschließen. Und so loben die Juroren die drei Preisträger: „Den drei Wissenschaftlern gebührt das Verdienst, mit Sorbicillacton A einen strukturell einzigartigen neuen Wirkstoff aus dem Meer und zugleich ein potenzielles neues Anti-Leukämiemittel mit einer möglichen klinischen Anwendung aufgefunden zu haben“.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Dr. h.c. Gerhard Bringmann, Tel: (0931) 888-5323; E-Mail: bringman@chemie.uni-wuerzburg.de

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Robert Emmerich idw

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