Bei der EU-Osterweiterung fehlt es an der politischen Verankerung von sozialen und Arbeitsstandards

Die Erweiterung der Europäischen Union auf jetzt 25 Mitgliedsstaaten hat innerhalb der EU zu einem erheblichen Gefälle bei den Arbeitsstandards geführt. Die Beschäftigten und Gewerkschaften in den mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern benötigen mehr politische Flankierung auf EU-Ebene, damit sie ihre Position in den industriellen Beziehungen ihrer Länder stärken und höhere Arbeitsstandards durchsetzen können. Bei der Erweiterung des Binnenmarktes um weniger fortgeschrittene Volkswirtschaften hält bislang die Verankerung von sozialen und Arbeitsstandards nicht Schritt.

Zu diesem Schluss kommen Untersuchungen des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen) zur „Qualität der Industriellen Beziehungen in der EU“. Erste Ergebnisse des Forschungsprojekts der Europäischen Stiftung für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Dublin, das vom IAT in Zusammenarbeit mit anderen in- und ausländischen Instituten durchgeführt wurde, sind jetzt in den WSI-Mitteilungen erschienen.

„In den meisten der neu hinzu gekommenen Mitgliedsländer Mittel- und Osteuropas (MOE) sind die industriellen Beziehungen deutlich weniger koordiniert und institutionalisiert als in einer Reihe kontinental- und vor allem nordeuropäischer Länder der früheren EU-15“, so Dr. Steffen Lehndorff, Forschungsdirektor des Schwerpunkts Arbeitszeit und Arbeitsorganisation am IAT. Wie ein von den Autoren entwickelter Index von Arbeitsstandards zeigt (vgl. Abbildung), bestehen markante Länderunterschiede, die sich für die meisten MOE-Länder insbesondere aus der Fragmentierung und Schwäche der Organisationen der Interessenvertretung, der geringeren Tarifbindung, der Betriebszentrierung der Tarifpolitik sowie einer defizitären Streikpraxis ergeben. Der Index berücksichtigt dabei die Existenz einer betrieblichen oder gewerkschaftlichen Interessenvertretung vor Ort, ob eine Arbeitsinspektion/ Gewerbeaufsicht, vorgerichtliche Konfliktlösung („Einigungsstellen“, Schlichtungsinstanzen) sowie eine allgemeine oder eine spezielle Arbeitsgerichtsbarkeit vorhanden sind. Letztere ist z.B. in den MOE-Ländern die Ausnahme. Als materieller Indikator wurden Existenz und Höhe eines gesetzlichen Mindestlohns aufgenommen.

Ein Ansatzpunkt, die Koexistenz und weitere Entwicklung dieser sehr unterschiedlichen Systeme industrieller Beziehungen so zu beeinflussen, dass dem Konkurrenzdruck in Richtung einer Abwärtsspirale standgehalten werden kann, könnte die Vorbildfunktion sein, die der „Westen“ für die großen wirtschaftlichen Veränderungen in den MOE-Ländern hatte und hat, meinen die Autoren. Das „deutsche Modell“, das hohe Arbeitsstandards und stark institutionalisierte Arbeitsbeziehungen mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verbindet, habe in Ländern wie Ungarn, der Slowakei oder Slowenien erhebliche Ausstrahlungskraft.

Allerdings zeigt der Blick auf die Entwicklung der Reallöhne und des Tarifvertragssystems in Deutschland in den letzten Jahren, dass ausgerechnet die stärkste Volkswirtschaft Europas in der Abwärtsspirale eine antreibende Funktion übernommen hat. „Wenn aber diejenigen, die an der Spitze der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stehen, an der Demontage ihrer Institutionen arbeiten, erschwert dies anderen den Aufbau ihrer eigenen Institutionen“, so Lehndorff.

Für weitere Fragen stehen Ihnen zur Verfügung:
Dr. Steffen Lehndorff
Durchwahl: 0209/1707-146
E-Mail: lehndorff@iatge.de
Dr. Heribert Kohl
Büro für wissenschaftliche Publizistik und Politikberatung
Telefon: 02104/31420
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