Dem "atmosphärischen Waschmittel" auf der Spur

Die Atmosphäre steuert ihre Reinigung wesentlich effizienter als bisher angenommen. Das berichten Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich und des Deutschen Wetterdiensts (DWD) in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Nature“. Sie hatten fünf Jahre lang die Menge des wichtigsten „Waschmittels“ in der Atmosphäre bestimmt: des Hydroxyl-Radikals (OH-Radikal). Dieses ist ein hochreaktives Molekül, das den Abbau der meisten Schadstoffe startet und dabei auch selbst verbraucht wird. Schwankende Schadstoffmengen wirken sich aber kaum auf die „Waschmittelmenge“ in der Luft aus, wie die Forscher nun feststellten. Der einzige messbare Einfluss ist die Sonnenstrahlung.

„Das OH-Radikal ist an tausenden Reaktionen in der Atmosphäre beteiligt, die es bilden können oder zerstören. Wir hatten daher erwartet, dass Schwankungen der Schadstoffmenge sehr stark die OH-Konzentration bestimmen, also bei hoher Schadstoffkonzentration wenig OH zu messen“, sagt Franz Rohrer vom Jülicher Institut für Chemie und Dynamik der Geosphäre. Umso erstaunter waren die Forscher nun, dass das Auf und Ab der Waschmittelmenge nur mit der Intensität der Sonnenstrahlung zusammenhängt. „Das bedeutet allerdings nicht, dass nur die Sonne die OH-Konzentration steuert“, erläutert Rohrer. „Das OH-Radikal selbst scheint seine chemische Umgebung so zu beeinflussen, dass wir andere Einflüsse nicht sehen.“

In Klimamodellen berücksichtigen viele Forscher derzeit noch verschiedenste Prozesse und Einflussgrößen, um die OH-Konzentration und damit den Abbau der Schadstoffe zu berechnen. Jeder einzelne dieser Prozesse ist im Prinzip gut untersucht. Ihr bisher angenommenes Zusammenspiel verfälscht jedoch das reale Bild, wie die neuen Messdaten zeigen. „Wir haben die besten Ergebnisse erzielt, wenn wir nur die solare Einstrahlung zur Vorhersage der OH-Konzentration verwendet haben“, berichtet Rohrer, „nun müssen wir herausfinden, wie das komplexe Zusammenspiel hinter dem einfachen Zusammenhang aussieht: Beeinflussen sich die bekannten Reaktionen des OH-Radikals anders als bisher zugrunde gelegt, oder gibt es noch unbekannte Prozesse?“

Antworten darauf könnten sowohl Rechenmodelle an Supercomputern wie dem Jülicher JUMP als auch weitere Langzeitmessungen liefern. „Es gibt zwar Daten aus anderen Regionen, die Messungen liefen dort aber höchstens einige Wochen“ weiß Harald Berresheim vom DWD. Am Meteorologischen Observatorium des DWD in Hohenpeißenberg in Süddeutschland messen die Forscher seit 1999 kontinuierlich die OH-Konzentration. „Das ist weltweit einmalig“, so Berresheim. Die Schwierigkeit dabei ist, dass OH-Radikale fast sofort mit jedem anderen Molekül reagieren: Sie werden bei Sonneneinstrahlung erzeugt, sind dann aber weniger als eine Sekunde stabil und daher bloß in winzigen Spuren in der Luft vorhanden. Um diese Kleinstmengen zu messen, haben die Wissenschaftler in Hohenpeißenberg eine hochempfindliche Analytik aufgebaut, deren zuverlässiger Betrieb über so eine lange Zeit allein schon eine Herausforderung war. Ergänzende Messungen anderenorts sollen zeigen, ob gleiche Ökosysteme wie Ozeane oder ausgedehnte Waldflächen gleiche Abhängigkeiten der OH-Menge von der Sonnenstrahlung aufweisen. Das würde die Modellierung des zentralen Moleküls in der Atmosphärenchemie vereinfachen.

Die Langzeitmessungen ergaben neben der einfachen Abhängigkeit des OH-Radikals noch ein zweites Ergebnis. „Forscher diskutieren seit einigen Jahren, ob die Atmosphäre die global steigende Luftverschmutzung nicht mehr verkraftet und daher die Menge des OH-Radikals abnimmt“, sagt Rohrer, „Wir sehen aber zum Glück bisher keinen Hinweis darauf.“

Strong correlation between levels of tropospheric hydroxyl radicals and solar ultraviolet radiation, F. Rohrer and H. Berresheim, Nature, Bd. 442, S. 184-187, News&Views, Bd. 442, S. 145f

Pressekontakt:
Dr. Barbara Schunk, Wissenschaftsjournalistin, Öffentlichkeitsarbeit, Forschungszentrum Jülich
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Dr. Angela Lindner, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit, Forschungszentrum Jülich, 52425 Jülich

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