Gefriergussverfahren – Eine Anleitung für komplex strukturierte Materialien

Die Röntgentomographie zeigt hier in 3D die Struktur, die ein Modellsystem auf Basis einer Zuckerlösung ausgebildet hat. Die Eiskristalle erscheinen in der Abbildung blau, die Zuckerlösung ist transparent.
(c) Paul Kamm /HZB

Gefriergussverfahren sind ein kostengünstiger Weg, um hochporöse Materialien mit hierarchischer Architektur, gerichteter Porosität und multifunktionalen inneren Oberflächen herzustellen. Gefriergegossene Materialien eignen sich für viele Anwendungen, von der Medizin bis zur Umwelt- und Energietechnik. Ein Beitrag im Fachjournal „Nature Reviews Methods Primer“ vermittelt nun eine Anleitung zu Gefriergussverfahren, zeigt einen Überblick, was gefriergegossene Werkstoffe heute leisten, und skizziert neue Einsatzbereiche. Ein besonderer Fokus liegt auf der Analyse dieser Materialien mit Tomoskopie.

Die Aufnahme mit einem Rasterelektronenmikroskop zeigt ein komplexes Materialsystem aus Chitosan und Nanocellulose. Das Chitosan-Gerüst wurde mit dem Gefriergussverfahren hergestellt. Der Maßstab ist 100 μm.
Die Aufnahme mit einem Rasterelektronenmikroskop zeigt ein komplexes Materialsystem aus Chitosan und Nanocellulose. Das Chitosan-Gerüst wurde mit dem Gefriergussverfahren hergestellt. Der Maßstab ist 100 μm. (c) Kaiyang Yin / University of Freiburg

„Als uns der weltbekannte „Nature“-Verlag die Möglichkeit gab, einen Nature Reviews Methods Primer mit Überblick und Anleitungen über das Gefriergussverfahren zu schreiben, waren wir begeistert“, erzählt die Materialexpertin Prof. Dr. Ulrike Wegst (Northeastern University, Boston, MA, USA und TU Berlin). „Gemeinsam mit den Tomoskopie-Experten Dr. Francisco García-Moreno und Dr. Paul Kamm (HZB und TU Berlin), hatten Dr. Kaiyang Yin (heute Humboldt Research Fellow an der Uni Freiburg), und ich gerade erste in situ Versuche durchführen und neue Phänomene zu Eiskristallwachstum und Strukturbildung entdecken können. So lag es auf der Hand, in unserem neuen Leitfaden für „Nature Reviews Methods Primers“ (Impaktfaktor 39,8) experimentellen Methoden der Gefriergussverfahren mit Verfahren zu deren Analyse zu kombinieren.“

Röntgentomoskopie: beim Gefrieren zusehen

Nach einer Einführung in Gefriergussverfahren stellt der Leitfaden auch die Methoden vor, mit denen sich die komplexen Materialarchitekturen und -eigenschaften analysieren lassen. Besondere Möglichkeiten bietet dabei die Röntgentomoskopie, mit der sich Kristallwachstum und Strukturbildung in allen Materialsystemen (polymeren, keramischen, metallischen, sowie Verbundmaterialien) direkt während des Gefrierens in Echtzeit und in 3D beobachten lassen. „Beim Gefriergießen von wässrigen Systemen wachsen Kristalle zum Beispiel unterschiedlich schnell in verschiedene Richtungen. Da sind Tomoskopie-Verfahren besonders attraktiv, weil sie es erlauben, das anisotrope Kristallwachstum quantitativ aufzuzeichnen,“ sagt García-Moreno.

Von Medizin bis zu Batterie-Elektroden

Vor über 40 Jahren wurde das Gefriergussverfahren für die Herstellung von biologischen Stützstrukturen entwickelt. Bald zeigte sich, dass gefriergegossene Materialien aufgrund ihrer hochporösen Struktur sich gut in Wirtsgewebe integrieren und Heilungsprozesse unterstützen können. Inzwischen gibt es vielfältigste Anwendungen nicht nur in der Biomedizin, sondern auch im technischen Bereich, von neuartigen Katalysatoren bis zu hochporösen Elektroden für Batterien oder Brennstoffzellen. Dafür steht eine große Vielfalt an Lösungsmitteln, gelösten Stoffen und Partikeln zur Verfügung, mit denen sich die gewünschten Strukturen, Formen und Funktionalitäten gezielt erzeugen lassen.

Wie funktioniert der Gefrierguss?

Zunächst wird eine Substanz in einem Lösungsmittel gelöst oder aufgeschwemmt. Die Flüssigkeit wird in einer Kühlzelle vom Boden her mit einer definierten Kühlrate (gerichtetes Gefrieren) abgekühlt, so dass das Lösungsmittel gefriert. Das kristallisierte Lösungsmittel wird dann über ein Sublimationsverfahren entfernt. Übrig bleibt die vormals darin gelöste Substanz, welche nun eine komplexe, hochporöse Architektur bildet.

Maßgeschneiderte Strukturen

Mit Gefriergussverfahren lassen sich gezielt hierarchisch komplexe Materialarchitekturen erzeugen, die auch die mechanischen, thermischen und viele andere Eigenschaften des Materials bestimmen. Dafür können Größe und Anzahl der Poren, ihre Geometrie und Ausrichtung sowie die Partikelpackung in den Zellwänden und die Oberflächenmerkmale der Zellwände jeweils für die gewünschte Anwendung maßgeschneidert werden.

Ausblick: Experimente unter Mikrogravitation

Nun sind Experimente auf der Internationalen Raumstation geplant. Denn dort herrscht Mikrogravitation, also eine enorm verringerte Schwerkraft, so dass Effekte durch Sedimentation und Konvektion beim Gefrierguss deutlich geringer sind. Dadurch erwarten die Experten weitere Fortschritte beim Verständnis von Gefriergussverfahren und der Herstellung von defektfreien, für bestimmte Anwendung maßgeschneiderten Werkstoffe.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Experten für Gefriergrussverfahren:
Prof. Dr. Ulrike K. Wegst
u.wegst@northeasern.edu
Dr. Kaiyang Yin
kaiyang.yin@imtek.uni-freiburg.de

Experten für Tomoskopie:
Dr. Paul Kamm
paul.kamm@helmholtz-berlin.de

Dr. Francisco Garcia-Moreno
Garcia-moreno@helmholtz-berlin.de

Originalpublikation:

Nature Reviews Methods Primers (2024): Freeze Casting

Ulrike G. K. Wegst, Paul H. Kamm, Kaiyang Yin, Francisco ‪García-Moreno
DOI: 10.1038/s43586-024-00307-5

https://www.helmholtz-berlin.de/pubbin/news_seite?nid=26686&sprache=de&seitenid=1

Media Contact

Dr. Antonia Rötger Kommunikation
Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie GmbH

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Materialwissenschaften

Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Artikel über die Materialentwicklung und deren Anwendungen, sowie über die Struktur und Eigenschaften neuer Werkstoffe.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Aufbruchstimmung in der Alzheimer-Forschung

Bei der Alzheimer Erkrankung lagern sich Eiweiße im Gehirn ab und schädigen es. Prof. Dr. Susanne Aileen Funke von der Hochschule Coburg hat eine Methode gefunden, die solche gefährlichen Eiweißverbindungen…

Chronische Entzündungen durch Ansätze aus der Natur behandeln

Die interdisziplinäre Forschungsgruppe „nature4HEALTH“ hat jüngst ihre Arbeit aufgenommen. Das Team der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Universitätsklinikums Jena entwickelt ganzheitliche naturstoffbasierte Therapieansätze für die Behandlung chronisch-entzündlicher Erkrankungen. Chronische Entzündungen sind…

Antivirale Beschichtungen und Zellkultur-Oberflächen maßgeschneidert herstellen

Verfahren der Kieler Materialwissenschaft ermöglicht erstmals umfassenden Vergleich von Beschichtungen für biomedizinische Anwendungen. Der Halteknopf im Bus, die Tasten im Fahrstuhl oder die Schutzscheibe am Anmeldetresen in der Arztpraxis: Täglich…

Partner & Förderer