Meerkatzen aus der Nordsee – Erstmals fossile Makaken-Funde vom Nordseegrund geborgen

Linker oberer Eckzahn der fossilen Makakenart vom Nordseegrund. S. Döring, Senckenberg Weimar

Fossilreste von Fellnashörnern, Breitstirnelchen, Höhlenlöwen und Waldelefanten – der Nordseeboden gilt als eine der bedeutendsten Fundstellen für die Rekonstruktion des Lebens im eiszeitlichen Europa.

„Allein die Menge von Mammut-Backenzähnen aus der Nordsee liegt bei mindestens 50.000 Stück“, schätzt Dick Mol, langjähriger Kenner der Fundsituation vor Ort. Prof. Dr. Ralf-Dietrich Kahlke von der Senckenberg Forschungsstation für Quartärpaläontologie in Weimar fährt fort:

„Die zahlreichen Funde von Skelettresten eiszeitlicher Landsäugetiere beweisen uns, dass weite Teile der Nordsee mehrfach Bestandteil des europäischen Festlands waren. Die lange Liste der Nachweise verschiedenster Säugetierarten aus den Kälte- und Wärmeperioden des Eiszeitalters können wir nun um eine Makakenart erweitern.“

Das niederländisch-deutsche Wissenschaftlerteam unter Leitung von Prof. Dr. Jelle W.F. Reumer von der Universität Utrecht hat in seiner aktuellen Studie mehrere aus der Nordsee stammende fossile Zähne sowie ein Unterkieferfragment der Primatenart Macaca sylvanus zuordnen können. Die Funde stammen aus verschiedenen Warmzeiten des Eiszeitalters. Sie gehörten zu Tieren, die den noch heute am Felsen von Gibraltar lebenden Berberaffen sehr ähnlich waren.

Die Funde wurden auf der „Maasvlakte 2“, einer nahe Rotterdam künstlich angelegten Insel mit modernen Industrie- und Hafenanlagen, geborgen. Zur Aufschüttung der „Maasvlakte 2“ wurde in Entfernungen von 10 bis 20 Kilometer ein Sand-Wasser-Gemisch vom Nordseeboden abgesaugt und mit immensem Druck an der künstlichen Insel angelandet. In den dabei entstehenden riesigen Sprühfächern zeigen sich oftmals Regenbögen.

„Während dieses als ‚Rainbowen’ bezeichneten Vorgangs werden auch immer wieder eiszeitliche Fossilien vom Nordseeboden an Land befördert und von Kennern eingesammelt“, erläutert Reumer und ergänzt: „Auch die höchst seltenen Makaken-Zähne gerieten auf diesem Weg in unsere Hände.“

Doch wie gelangen Knochen von eiszeitlichen Landsäugetieren in den Grund der Nordsee? Kahlke hierzu: „Erst mit dem Abschmelzen der eiszeitlichen Gletscher wurde der Raum der heutigen Nordsee geflutet und der Ärmelkanal öffnete sich zu einem Meeresarm. Vor dieser Zeit wurde die Topographie Nordwest-Europas vor allem durch veränderliche Meeresspiegelstände gestaltet, die wiederum von den klimatischen Verhältnisse bestimmt wurden.

Durch die Bindung immenser Wassermengen in den eiszeitlichen Gletschern sank der Meeresspiegel zur Zeit der Maximalvereisung der letzten Kaltzeit vor reichlich 20.000 Jahren um bis zu 120 Meter. Auch große Teile der heutigen Nordsee fielen trocken und konnten von der Festlandsfauna besiedelt werden. Deren Fossilien finden wir heute im Meeresboden. Ähnliche Ereignisse gab es auch in früheren Perioden.“

Heutige Makaken leben als gute Kletterer bevorzugt in felsiger Landschaft. Derartige Gesteinsformationen existierten aber während des Eiszeitalters im Raum der heutigen Nordsee nicht. Das Wissenschaftlerteam geht davon aus, dass die etwa 70 Zentimeter großen Tiere stattdessen auf Bäumen Zuflucht suchten. Ihr – heute unter Wasser und Sediment liegender – Lebensraum muss also zumindest teilweise bewaldet gewesen sein.

„Das Alter der Zähne ist leider nicht eindeutig zu bestimmen, weil die Fossilien ohne Zuordnung zu ihrer ursprünglichen Fundschicht vorliegen. Ein Unterkieferfragment mit Weisheitszahn stammt wohl aus der Eem-Warmzeit vor 126.000 Jahren bis 115.000 Jahren. Die beiden anderen Stücke sind aufgrund ihrer intensiven Mineralisation vermutlich noch deutlich älter“, so Reumer. Er resümiert: „Die neuen Funde zeigen, dass die Nordsee viele Geheimnisse birgt!“

Prof. Dr. Ralf-Dietrich Kahlke
Senckenberg Forschungsstation für Quartärpaläontologie
Tel. 03643- 493093330
rdkahlke@senckenberg.de

REUMER, J. W. F., MOL, D., KAHLKE, R.-D. (2018): First finds of Macaca sylvanus (Cercopithecidae, Primates) from the North Sea. – Revue de Paléobiologie 37 (2): 555-560 |
doi: 10.5281/zenodo.2545095.

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Judith Jördens Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen

Weitere Informationen:

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