3-D-Röntgenkino: schnelle Bewegungen in Echtzeit

Beim Hüftgelenk des Kornkäfers bewegen sich großflächige Skelettteile aufeinander und greifen dabei wie Schraube und Mutter ineinander. Abbildung: dos Santos Rolo et al., PNAS, 2014

Dreidimensionale Röntgenaufnahmen bilden innere Strukturen ab, verraten aber nichts über Bewegungsabläufe. Konventionelle Computertomografie ist nicht leistungsfähig genug, um Bewegungen räumlich präzise und gleichzeitig in der zeitlichen Dimension abzubilden. Jedes einzelne dreidimensionale Bild, ein sogenanntes Tomogramm, wird aus Hunderten zweidimensionaler Röntgenaufnahmen rekonstruiert.

„Um mit einer derartigen Aufnahmegeschwindigkeit hoch aufgelöste Tomogramme zu produzieren, mussten wir an jeder verfügbaren Stellschraube von der Röntgenquelle bis zum Pixeldetektor drehen und alle Prozessschritte optimal aufeinander abstimmen“, sagt Tomy dos Santos Rolo, der als Doktorand den experimentellen Aufbau maßgeblich entwickelt hat. Indem er die 3-D-Bildfrequenzen den von 2-D-Kinofilmen bekannten Bildraten annäherte, gelang ihm der Weltrekord in Hochgeschwindigkeitstomografie – als echtes 3-D-Kino mit mikroskopischer Vergrößerung.

Für die wissenschaftliche Auswertung ist es wesentlich, dass sich die dreidimensionalen Umrisse der anatomischen Strukturen klar abzeichnen. Das wird durch den sogenannten Phasenkontrast ermöglicht: Durchleuchten hochparallele Röntgenstrahlen das biologische Untersuchungsobjekt, kommt es zu wellenoptischen Phänomenen, die zu einer deutlichen Betonung der inneren und äußeren Konturen führen.

„Auf genau diese Umrisse kommt es uns an. Wir wollen einzelne funktionale Elemente unterscheiden, die sich bei Bewegungen gegeneinander verschieben. Dafür sind wir in erster Linie auf scharfe Konturen angewiesen“, so Alexey Ershov, der Experte für Bildanalyse im Team. Von der Röntgenquelle bis zur fertigen Bewegungsanalyse sind daher alle Prozessstufen auch darauf ausgelegt, Bildrauschen herauszufiltern, ohne die Kontraste zu entschärfen. Das gilt genauso hinsichtlich der für die Röntgendurchstrahlung optimierten mathematischen Algorithmen, die drei räumliche sowie eine zeitliche Dimension rekonstruieren und aus den Daten exakte Bewegungsmuster ableiten.

In Anlehnung an die ersten Bewegtbilder – die Cinematografie – nennen die Wissenschaftler ihr Verfahren „Cinetomografie“. Im ausgehenden 19. Jahrhundert standen die Bewegungen von Großtieren im Fokus. Heute können Forscher die inneren biologischen Prozesse von Kleinorganismen analysieren, wie sie am kürzlich entdeckten Schraubengelenk des Kornkäfers demonstrieren. Insekten, Spinnen und Krebstiere machen über 80 Prozent aller Tierarten aus. 

Die Cinetomografie bildet aber nicht nur biologische oder biotechnologische Vorgänge vierdimensional ab, sondern beispielsweise auch für die Industrie relevante Verbrennungsprozesse.

Tomy dos Santos Rolo, Alexey Ershov, Thomas van de Kamp, and Tilo Baumbach: In vivo X-ray cine-tomography for tracking morphological dynamics, PNAS Early Edition (2014), DOI: 10.1073/pnas.1308650111

Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts nach den Gesetzen des Landes Baden-Württemberg. Es nimmt sowohl die Mission einer Universität als auch die Mission eines nationalen Forschungszentrums in der Helmholtz-Gemeinschaft wahr. Thematische Schwerpunkte der Forschung sind Energie, natürliche und gebaute Umwelt sowie Gesellschaft und Technik, von fundamentalen Fragen bis zur Anwendung. Mit rund 9000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, darunter knapp 6000 in Wissenschaft und Lehre, sowie 24 000 Studierenden ist das KIT eine der größten Forschungs- und Lehreinrichtungen Europas. Das KIT verfolgt seine Aufgaben im Wissensdreieck Forschung – Lehre – Innovation.

Diese Presseinformation ist im Internet abrufbar unter: www.kit.edu

Media Contact

Katrin Hecker Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie

Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Diamantstaub leuchtet hell in Magnetresonanztomographie

Mögliche Alternative zum weit verbreiteten Kontrastmittel Gadolinium. Eine unerwartete Entdeckung machte eine Wissenschaftlerin des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart: Nanometerkleine Diamantpartikel, die eigentlich für einen ganz anderen Zweck bestimmt…

Neue Spule für 7-Tesla MRT | Kopf und Hals gleichzeitig darstellen

Die Magnetresonanztomographie (MRT) ermöglicht detaillierte Einblicke in den Körper. Vor allem die Ultrahochfeld-Bildgebung mit Magnetfeldstärken von 7 Tesla und höher macht feinste anatomische Strukturen und funktionelle Prozesse sichtbar. Doch alleine…

Hybrid-Energiespeichersystem für moderne Energienetze

Projekt HyFlow: Leistungsfähiges, nachhaltiges und kostengünstiges Hybrid-Energiespeichersystem für moderne Energienetze. In drei Jahren Forschungsarbeit hat das Konsortium des EU-Projekts HyFlow ein extrem leistungsfähiges, nachhaltiges und kostengünstiges Hybrid-Energiespeichersystem entwickelt, das einen…

Partner & Förderer