Wie Pestizide auf die belebte Umwelt wirken

In den letzten 50 Jahren hat sich die Anzahl der Menschen fast verdoppelt ‒ und damit auch die globale Nahrungsmittelproduktion. Als eine Folge haben der Einsatz von Pestiziden und die daraus resultierenden Auswirkungen auf Menschen, Tiere und Pflanzen an Bedeutung gewonnen.

Dass Pestizide auch auf Organismen giftig wirken können, gegen die sie ursprünglich nicht eingesetzt wurden, hat sich in Laborversuchen vielfach gezeigt. Auch wird im Zusammenhang mit einer Intensivierung der Landwirtschaft weltweit immer wieder von Populationseinbrüchen bei Wildtierbeständen und von Artensterben, wie beispielsweise bei Amphibien, berichtet. Können Pestizide durch ihre biochemische Wirkung also ganze Ökosysteme beeinträchtigen?

Den Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Veränderungen ökologischer Systeme haben Professor Heinz Köhler und Professor Rita Triebskorn vom Institut für Evolution und Ökologie der Universität Tübingen in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Science“ analysiert. Die Tübinger Ökotoxikologen benennen dabei Defizite in der Forschung, die bislang verhindern, dass Folgen biochemischer Pestizidwirkungen auf die Populationsstruktur einer Art oder auf die Zusammensetzung von Artengemeinschaften erkannt werden.

„Obwohl zahlreiche Indizien für Veränderungen von Tierpopulationen oder Biozönosen durch Pestizideinsatz vorliegen, existieren nur wenige Studien, die diesen Zusammenhang zweifelsfrei nachgewiesen haben“, sagen Köhler und Triebskorn. In diesem Zusammenhang weisen die beiden Wissenschaftler auf mathematische und experimentelle Ansätze hin, mit denen sich Verbindungen zwischen den Auswirkungen von Pestiziden bei Individuen und ökologischen Veränderungen von Artengemeinschaften und Ökosystemen in Regionen mit intensiver landwirtschaftlicher Aktivität erkennen lassen.

Eine Schlüsselrolle spielen dabei bislang selten durchgeführte Studien, die experimentelle Freilandarbeit mit Forschungen an begrenzen Ausschnitten aus Ökosystemen sowie einer großen Palette an chemischen und biologischen Analysen kombinieren: In einem interdisziplinären Ansatz können derartige Studien plausible Zusammenhänge zwischen der Wirkung von Chemikalien in Mensch und Tier und oft indirekten Effekten nachweisen, die sich auf den Ebenen von Population, Lebensgemeinschaft und Ökosystem abspielen.

Zudem stellen die Wissenschaftler in ihrer Studie Prognosen zu Wechselwirkungen von Pestizideffekten und der globalen Erwärmung: Sie erwarten, dass diese Interaktionen langfristig den Selekti-onsdruck in der Natur, die Verbreitung von Infektionen sowie die Geschlechtsausprägung und Fruchtbarkeit von Wildtieren verändern. Dies könnte wiederum negative Auswirkungen auf Populationen, Artengemeinschaften und Nährstoffkreisläufe haben. Eine weitere Herausforderung für die Wissenschaft ist es deshalb, so die Tübinger Umweltforscher, zu zeigen, wie stark Pestizideffekte durch den Klimawandel beeinflusst werden, und welche ökologischen Prozesse für diese Wechselwirkungen besonders sensitiv sind? „Die Zusammenhänge von Pestizidwirkungen auf allen Ebenen steigender biologischer Komplexität müssen besser erforscht werden“, fordern die Wissenschaftler.

Publikation: Köhler, Heinz-R.; Triebskorn, Rita: Wildlife Ecotoxicology of Pesticides – Can We Track Effects to the Population Level and Beyond? Science (2013), 16. August 2013: http://www.sciencemag.org/

Kontakt:
Prof. Dr. Heinz-R. Köhler
Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Institut für Evolution und Ökologie / Physiologische Ökologie der Tiere
Tel. +49 7071 757-3559
heinz-r.koehler[at]uni-tuebingen.de
Prof. Dr. Rita Triebskorn
Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Institut für Evolution und Ökologie / Physiologische Ökologie der Tiere
+49 7071 757-3555
rita.triebskorn[at]uni-tuebingen.de

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Myriam Hönig idw

Weitere Informationen:

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