Brachten Kometen das Leben auf die Erde?

Wichtige Lebensbausteine in künstlich erzeugtem Kometenmaterial nachgewiesen / Kometen könnten wichtige Zwischenstation für die Entwicklung von Leben sein

Aminosäuren sind ein wesentlicher Bestandteil aller Lebewesen auf der Erde, aber noch immer ist ungeklärt, wie die ersten Eiweißbausteine in der frühen Erdgeschichte spontan entstanden sind. Schon lange wird vermutet, diese komplexen organischen Moleküle könnten auch aus dem Weltall auf die Erde gekommen sein. Jetzt ist es einer Wissenschaftlergruppe gelungen, erstmals hochmolekulare Verbindungen, darunter wichtige Aminosäuren, in künstlich erzeugtem interstellarem Eis nachzuweisen (nature, 28. März 2002). Dieser Befund, an dem Wissenschaftler der Universitäten Leiden und Bremen, des Centre de Biophysique Moleculaire, Orleans, sowie des Max-Planck-Instituts für Aeronomie in Katlenburg-Lindau beteiligt waren, stärkt die Auffassung, dass wichtige Grundbausteine des Lebens bereits im All entstehen und in zahlreichen Regionen des Kosmos zu finden sind. Kometen könnten diese Lebensbausteine in ihrem eisigen Kern konserviert und bei einer Kollision mit Planeten freigesetzt haben. Ein wichtiges Ziel der 2003 zum Kometen Wirtanen startenden ESA-Raumsonde „Rosetta“ ist es deshalb, direkt auf diesem Kometen nach Lebensbausteinen zu suchen.

Das Modell eines Kometenausschnittes zeigt eine Anhäufung interstellarer Staubpartikel. Diese bestehen aus einem silikatischen Kern, der mit gelbem, organischem Material belegt ist, welches wiederum von einem Eismantel kondensierter Gase wie Wasser, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Methanol und Ammoniak umgeben ist. Das gelbe Material bildet sich, sobald die Eisschichten mit energiereichem, ultraviolettem Licht bestrahlt werden, welches etwa von jungen Sternen emittiert wird.

Foto: Raymond und Beverly Sackler Labor für Astrophysik, Leiden

Kometen sind wahrscheinlich die ältesten, weitgehend unverändert gebliebenen Reste einer gigantischen Staubscheibe, aus der unser Sonnensystem vor etwa 4,6 Milliarden Jahren entstanden ist. Von Prof. Mayo Greenberg, einer der Autoren der „nature“-Studie von der Universität Leiden († 29.11.2001), stammt die Theorie, Kometen könnten auch bei der Entstehung des Lebens auf der Erde eine Rolle gespielt haben: Die „schmutzigen Schneebälle“, wie der berühmte amerikanische Kometenforscher Fred Lawrence Whipple die Kometenkerne genannt hat, könnten durch vorbeiziehende Sterne von ihren sonnenfernen Bahnen in die Nähe der Sonne abgelenkt worden sein. Beim Zusammenstoß mit der Erde und anderen Planeten hätten sie nicht nur ihr Wassereis auf die Planetenoberfläche gebracht, sondern auch große Mengen an chemischen Substanzen, die wie in dem Laborexperiment, durch „Photosynthese“, also Lichteinwirkung, entstanden sind.

Die „Rosetta“-Mission der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) verfolgt deshalb das ehrgeizige Ziel, ein Raumsonde in eine Umlaufbahn um den Kometen Wirtanen zu bringen und eine Landesonde, den „Rosetta-Lander“, der vom Max-Planck-Institut für Aeronomie entwickelt wurde, auf seiner Oberfläche abzusetzen. Auf diese Weise will man endlich mehr Klarheit über die Natur der Kometen und des interstellaren Staubs gewinnen. „Rosetta“ soll 2003 starten und bei komplizierten Vorbeiflügen an Mars und Erde ausreichend Schwung nehmen, um im Jahr 2011 den Kometen Wirtanen zu erreichen. Auf dem nur 1,2 km im Durchmesser messenden Kometenkern sollen mit automatisierten „in situ“-Messungen die chemische Zusammensetzung, die Oberflächeneigenschaften sowie der inneren Aufbau des Kometen untersucht werden.

Der „Rosetta Lander“, verkleidet mit Schutzpanelen. Zu erkennen sind die Landebeine mit ihren „Füßen“ und den Eisschrauben, mit denen sich der Lander in der Kometenoberfläche verankert.

Foto: Max-Planck-Institut für Aeronomie

An Bord von „Rosetta“ befinden sich insgesamt 19 von internationalen Konsortien entwickelte Instrumente, davon zehn auf dem Rosetta-Lander einschließlich des Bohrgeräts zur Entnahme von Proben und zur Weitergabe an die Analysegeräte. Zu diesen Geräten gehört auch COSAC – das Cometary Sampling and Composition Experiment. COSAC enthält zur Gasanalyse sowohl einen Gaschromatographen als auch ein Massenspektrometer und soll in der Kometenmaterie vor allem nach komplexen organischen Moleküle suchen und diese identifizieren. Diese Moleküle sind für die Forscher von besonderem Interesse, weil sie die „präbiotischen“ Bausteine für das Leben auf der Erde und auf anderen Planeten sein könnten. Der Anteil dieser organischen Verbindungen an dem gesamten Kometenmaterial wird auf bis zu 30% geschätzt. Das Vorhandensein kleinerer organischer Verbindungen konnte inzwischen zweifelsfrei nachgewiesen werden. Hingegen ist die Identifizierung größerer Moleküle bisher eher noch spekulativ. So wird der Nachweis dieser Moleküle mit optischen Mitteln dadurch erschwert, dass sich die Spektren aller vorhandenen Moleküle vermischen und die Spektren der selteneren Verbindungen überlagern.

COSAC, das Cometary Sampling and Composition Experiment, soll komplexe organische Moleküle auf dem Kometen Wirtanen aufspüren und identifizieren. Das Experiment besteht aus einer Kombination von einem Gaschromatographen und einem Massenspektrometer, die wie ein Labor auf der Oberfläche des Kometen, automatisch bzw. per Fernsteuerung, arbeiten sollen – ein anspruchsvolles Unternehmen, wenn Gewicht, Energieverbrauch und Kosten sehr niedrig und Effizienz, Auflösung und Genauigkeit des Geräts extrem hoch sein sollen. Zudem müssen alle Geräte an Bord von „Rosetta“ sehr zuverlässig sein, da sie erst nach einer Flugzeit von mehr als zehn Jahren in Betrieb genommen werden.

Foto: Max-Planck-Institut für Aeronomie

Mit dem COSAC-Experiment sollen diese Probleme überwunden und Materialproben zum ersten Mal direkt auf dem Kometenkern untersucht werden. Speziell geht es hierbei um die Chiralität der potentiellen „präbiotischen“ Moleküle. Unter einfachen Simulationsbedingungen entstehen von spiegelbildlich aufgebauten chemischen Verbindungen jeweils die gleichen Mengen (Racemat). Treten in den Wirtanen-Proben jedoch ähnliche Abweichungen von einem „äquimolekularen Gemisch“ auf wie auf der Erde, wäre das ein weiteres Indiz dafür, dass Kometen die Lebensbausteine auf die Erde gebracht haben.

Um die Leistungsfähigkeit der miniaturisierten COSAC-Instrumente zu testen, simulierten die Forscher um Guillermo Muñoz Caro, Universität Leiden, und Dr. Uwe Meierhenrich, Universität Bremen, chemische Vorgänge im Weltraum, insbesondere in dichten interstellaren Wolken, in einem einfachen Test. Dazu nutzten sie eine Vakuum-Apparatur, die einen so genannten „cold finger“, d.h. einen mit flüssigem Helium auf 12 Kelvin gekühlten kleinen Aluminium-Block enthielt. Lässt man in eine solche Anordnung verschiedene Gase ein, frieren diese als dünne Eisschicht auf dem „cold finger“ aus. Um die chemischen Reaktionen in einer dichten interstellaren Wolke nachzubilden, aus der sich ein neuer Stern mit den „dazugehörigen“ Planeten und Kometen bilden kann, ließen die Forscher in die Apparatur nur jene einfachen chemischen Verbindungen ein, von denen man aus astronomischen Beobachtungen weiß, das sie in solchen Wolken häufig und in einem bestimmten Mengenverhältnis vorkommen: Wasser, Kohlendioxid, Kohlenmonoxid, Ammoniak und Methanol im Verhältnis 2 : 1 : 1 : 1 : 1. Die auf dem Kühlblock entstandenen, sehr dünnen Eisschichten wurden während ihrer Ablagerung mehrere Stunden mit UV-Licht bestrahlt. Damit führte man, wie im Weltall, Energie in Form von Lichtquanten zu, die die Moleküle anregen und ihre Bindungen teilweise aufbrechen können, so dass sich – dem Zufall und den Bindungskräften folgend – neue chemische Verbindungen bilden können.

Die Simulationskammer für Weltraumbedingungen im Raymond und Beverly Sackler Labor für Astrophysik am Observatorium in Leiden, den Niederlanden. Die Eisprobe ist im Innern der Vakuumkammer (rechts) auf einem Aluminiumblock bei einer Temperatur von – 262 °C platziert und wird während ihrer Ablagerung mit energiereichen UV-Photonen bestrahlt. Derartige Bedingungen simulieren die Bestrahlung von Eisschichten auf silikatischen Kernen im präsolaren Nebel während der Entstehung des Sonnensystems.

Foto: Raymond und Beverly Sackler Labor für Astrophysik, Leiden

Die Wissenschaftler hofften, auf diese Weise Moleküle zu erzeugen, die aufgrund vergleichbarer Entstehungsbedingungen jenen ähneln könnten, die der „Rosetta Lander“ auf dem Kern des Zielkometen Wirtanen mit COSAC identifizieren soll. Da die Forscher wussten, dass auch große und komplexe Moleküle unter Weltraumbedingungen „spontan“ entstehen können, erwarteten sie, dass einige weniger komplexe Moleküle in dieser Apparatur entstehen würden. Tatsächlich aber fanden sie in den Proben des „cold finger“ allein 16 verschiedene Aminosäuren, von denen sechs zu den von der Biologie benutzten Aminosäuren gehören. „Da Aminosäuren die wesentlichen Bausteine aller Eiweiße sind, ohne die das Leben auf der Erde nicht möglich wäre, fällt es schon schwer, hier nicht an Zusammenhänge zwischen Weltraumchemie und Leben zu denken“, kommentiert Dr. Rosenbauer, Direktor am Max-Planck-Institut für Aeronomie, das überraschende Ergebnis.

Während der Bestrahlung von simuliertem interstellarem Eis bildet sich ein gelbes Material. Chemische Analysen haben gezeigt, dass darin eine große Anzahl organischer Moleküle von präbiotischer Bedeutung, insbesondere 16 verschiedene Aminosäuren, vorkommen.

Foto: Raymond und Beverly Sackler Labor für Astrophysik, Leiden

Rosenbauer fügt hinzu: „Damit behaupten wir nicht, die Entstehung des Lebens verstanden zu haben. Auch wenn wichtige chemische Grundbausteine zur Verfügung stünden, ist es keineswegs klar, wie sich daraus die ersten Lebewesen entwickelt haben. Aber mit unseren Analysen sind wir diesem Ziel vielleicht einen kleinen Schritt näher gekommen. Unser Experiment zeigt, dass wichtige Grundbausteine des Lebens an vielen Stellen in unserer Galaxis, vielleicht sogar im ganzen Universum vorhanden sein sollten, weil sie offenbar unter „üblichen“ Weltraumbedingungen jederzeit und fast überall „spontan“ entstehen können.“

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Helmut Rosenbauer
Max-Planck-Institut für Aeronomie
Max-Planck-Straße 2
37191 Katlenburg-Lindau
Tel.: 0 55 56 / 9 79 – 4 25
Fax: 0 55 56 / 9 79 – 1 48
E-Mail: rosenbauer@linmpi.mpg.de

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