Atomen beim Schwingen zusehen

Prof. Dr. Eckhart Förster (l.) und sein Mitarbeiter Dr. Ingo Uschmann vor der Testapparatur für ihre Spezial-Kristalle.

Physiker der Universität Jena mit spezieller Messmethode in der Fachzeitschrift „Nature“

In einem Kristall sind die Atome regelmäßig angeordnet. Bei tiefen Temperaturen nimmt jedes Atom einen regulären Platz im Gitter ein. Führt man Energie zu, beispielsweise durch Erwärmung, schwingen die Atome stärker um ihren angestammten Gitterplatz. Beim Erreichen der Schmelztemperatur des Kristalls zerfällt das Gitter schließlich. Ein internationales Wissenschaftlerteam konnte jetzt mit bisher nicht erreichter Zeitauflösung nachweisen, wie weit sich die Atome in einem Wismut-Einkristall „aus dem Gitterfenster lehnen“ – sich also im Gitter bewegen – bevor sich der Kristall auflöst. Zwei Physiker der Friedrich-Schiller-Universität Jena lieferten die röntgenoptische Messmethode und trugen so zu den bahnbrechenden Beobachtungen bei. Die Versuche wurden im Rahmen eines gemeinsamen Schwerpunktprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft von Wissenschaftlern der Universität Essen durchgeführt. Zudem waren Wissenschaftler aus den Berkeley Laboratorien in Kalifornien, USA und der Universität Hannover beteiligt.

Die Ergebnisse werden erstmals am 20. März in „Nature“, einer der ranghöchsten internationalen Fachzeitschriften, veröffentlicht.

„Vor 90 Jahren hatte man festgestellt, dass ein Kristall, das aus einer Atomsorte besteht, kurz vor Erreichen des Schmelzpunkts seine maximale Ausdehnung besitzt. Er dehnt sich um ca. 10 % in jede Richtung aus, bezogen auf seine Abmessungen bei tiefster Temperatur. Das ist die so genannte Lindemann-Stabilitätsgrenze“, erläutert Prof. Dr. Eckhart Förster. „Auf atomarer Ebene bedeutet dies, dass die Atome um etwa 10 % aus ihrer Ruhelage schwingen“, führt der Leiter der Abteilung Röntgenoptik der Universität Jena aus. Um jedoch Atomen beim Schwingen zuzusehen und diese Schwingungen sogar zu messen, bedurfte es einer durch Försters Arbeitsgruppe entwickelten Messmethode mittels mit Laserstrahlen erzeugten und auf den Pobekristall fokussierten Röntgenstrahlen.

Das Wismut-Einkristallgitter wurde in einen Schwingungszustand nahe der Lindemann-Stabilitätsgrenze versetzt. Dazu dient ein Laserstrahl mit einem Puls von 120 Femtosekunden (1 Femtosekunde= 10 hoch minus 15 Sekunden). Die Veränderung, also die Schwingung der Atome, vermisst man mit Röntgenstrahlen. Diese werden mit Hilfe desselben Lasers an einem Titandraht-Mikroplasma erzeugt. „Für eine erfolgreiche Messung müssen Röntgen-Messstrahl und Anregungs-Laserstrahl auf genau dieselbe, 80 Mikrometer große Stelle des Wismut-Kristalls treffen“, sagt Dr. Ingo Uschmann. Das ist die Expertise, die Försters Mitarbeiter eingebracht hat. Zur Fokussierung des Röntgenstrahls benötigten die Essener Kollegen einen gebogenen Kristall. Uschmann stellte entsprechend der Eigenschaften der zu beobachtenden Wismut-Atome einen Siliziumkristall her. „Dessen Krümmungen müssen genau stimmen, da sonst die genutzte Röntgenstrahlung nicht wie berechnet fokussiert wird und die notwendige hohe Zeitauflösung verloren geht“, weiß der Experte. Diese Art des Versuchsaufbaus zur Messung mittels Femtosekunden-Röntgenstrahlen haben die Jenaer Physiker entwickelt und umgesetzt. „Dreimal konnten wir mit unserer Methode schon verschiedene Anwendungen in „Nature“ publizieren“, berichtet Prof. Förster. „Letztendlich ist jeder Teil des Experiments vom gewählten Laser über den Titandraht bis hin zum Wismutkristall entscheidend für die aktuellen eindrucksvollen Messungen der Essener gewesen“, sind sich die Jenaer Wissenschaftler einig.

In 467 Femtosekunden schwingt ein Wismutatom einmal um seinen Ruheplatz hin und zurück, wenn das Gitter mit einem 120-Femtosekundenlaser angeregt wird. Durch genaue Einstellung der Energie des Femtosekundenimpulses kann man die Auslenkung der Atomschwingung so wählen, dass sie kurz vor der Lindemann-Stabilitätsgrenze des Kristalls liegt. Bei Überschreiten des Grenzwertes konnte der Röntgenstrahl keine regelmäßigen Atom-Schwingungen mehr detektieren.

Nachzulesen ist dies in dem Artikel der Zeitschrift Nature: „Femtosecond X-ray measurement of coherent lattice Vibrations near the Lindemann stability limit“. Autoren: K. Sokolowski-Tinten, C. Blome, A. Cavalleri, C. Dietrich, A. Tarasevitch, I. Uschmann, E. Förster, M. Kammler, M. Horn-von-Hoegen und D. von der Linde.

Kontakt:

Prof. Dr. Eckhart Förster
Institut für Optik und Quantenelektronik der Universität Jena
– Abteilung Röntgenoptik –
Max-Wien-Platz 1
07743 Jena
Telefon: 03641 / 947260
Telefax: 03641 / 947262
Email: foerster@ioq.uni-jena.de

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Monika Paschwitz idw

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