Der “Stein von Rosetta” für aktive Galaxienkerne entschlüsselt

Künstlerische Darstellung der aktiven Galaxie OJ 287 mit einem präzedierenden Jet. Insets: A) Präzession durch ein binäres Schwarzes Loch; B) Präzession durch eine verbogene Akkretionsscheibe. Axel M. Quetz/MPIA Heidelberg

Es brauchte lange Zeit, um die ägyptischen Hieroglyphen zu entschlüsseln, die z.B. als Inschriften auf den Pyramiden zu sehen sind. Dies gelang schließlich mithilfe des sogenannten Rosettasteins, einer Stele, die im Jahr 1799 gefunden wurde und als Inschrift einen Text in drei verschiedenen Sprachen, altägyptischen Hieroglyphen, demotischer und altgriechischer Schrift enthält.

Mit der Erkenntnis, dass es sich jeweils um den gleichen Text handelt, konnten die rätselhaften Hieroglyphen mit Hilfe der bekannten altgriechischen Sprache entschlüsselt werden. Diese Entdeckung erlaubte völlig neue Erkenntnisse über die Kultur des alten Ägypten.

Einem Team von Astronomen gelang nun die Entschlüsselung des Jets im Zentrum einer Galaxie, die man bereits vor Jahren als den Rosettastein für Blazare bezeichnet hat. Blazare sind aktive Galaxienkerne, bei denen ein supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum mit Materie gefüttert wird und die einen relativistischen Jet ausstoßen.

Im Zentrum der Galaxie OJ 287, in einer Entfernung von rund 3,5 Milliarden Lichtjahren, befindet sich mindestens ein supermassereiches Schwarzes Loch von millionen- oder sogar milliardenfacher Masse der Sonne. Dieses Schwarze Loch ist aktiv und erzeugt dabei einen Jet – einen magnetisierten Plasmastrom, der im Zentrum der Galaxie im direkten Umfeld des zentralen Schwarzen Lochs erzeugt wird.

Die Strahlung eines solchen Jets kann in Radiowellenlängen beobachtet werden. OJ 287 ist ebenfalls ein bekanntes Zielobjekt für optische Untersuchungen. Optische Helligkeitsschwankungen wurden bei dieser Galaxie bereits seit dem späten 19. Jahrhundert beobachtet und lieferten eine der zeitlich längsten Lichtkurven in der Astronomie.

Trotz jahrzehntelanger Radiobeobachtungen von Galaxien mit zentralen Jets und zahlreicher ausgeklügelter Untersuchungen sind die Jets ein Rätsel geblieben. Nach gängiger Theorie wird der Ursprung von Schwankungen in der Radiohelligkeit von Jets mit dem Fütterungsmechanismus durch das zentrale Schwarze Loch erklärt. Die sich bewegenden Strukturen in den Jets, die sogenannten „Knoten“, werden unabhängig davon den sich ausbreitenden Stoßwellen („Shocks“) in den Jets zugeschrieben. Jetforscher sind sehr daran interessiert, einen physikalischen Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen zu etablieren; das ist bisher aber nicht in konsistenter Weise gelungen.

Ein von Silke Britzen vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) geleitetes Team hat nun eine ausgeklügelte Beobachtungstechnik genutzt, um den Jet von OJ 287 im direkten Umfeld seiner Entstehung in einer Vielzahl von Beobachtungsepochen detailliert abzubilden.

Die Technik der Radiointerferometrie umfasst eine Anzahl von über den gesamten Erdball verteilten Radioteleskopen zur Erzeugung eines virtuellen Monsterteleskops von bis zu Erdgröße. Damit wird es möglich, tief in die Zentren von aktiven Galaxien hineinzuzoomen, um Jets im direkten Umfeld eines zentralen Schwarzen Lochs mit bisher nicht gekannter Winkelauflösung abzubilden.

Durch die Analyse eines umfangreichen und einen langen Zeitraum umfassenden Archivs von Beobachtungsdaten für diese Galaxie hat das Team nun starke Hinweise darauf gefunden, dass beide Phänomene den gleichen Ursprung haben. Sowohl die Helligkeitsschwankungen als auch die Bewegungen der „Knoten“ in den Jets lassen sich allein durch die Bewegung des Jets erklären. Der Jet selbst führt eine Präzessionsbewegung aus.

„Die Helligkeitsschwankungen ergeben sich aus der Präzession des Jets, die eine Veränderung in der Dopplerverstärkung der ausgesendeten Strahlung hervorruft, wenn sich der Sichtwinkel auf den Jet durch die Präzession ändert“, sagt Michal Zajacek, ebenfalls vom MPIfR, der die numerische Modellierung der Präzession durchgeführt hat. „Es war für uns sehr überraschend, dass der Jet nicht nur präzediert. Er scheint darüber hinaus auch eine kleinere nutations-ähnliche Bewegung durchzuführen. Die kombinierte Bewegung des Jets aus Präzession und Nutation führt zur beobachteten Variabilität in der Radiostrahlung und kann auch einige der optischen Strahlungsausbrüche erklären.“

„Uns ist klargeworden, dass es der gleiche physikalische Prozess ist, der die Bewegung des Jets an der Sphäre und die beobachteten Helligkeitsschwankungen der Galaxie hervorruft. Es ist letztendlich die Änderung in der Bewegung des Jets. Pure Geometrie und klar vorherbestimmt, keine Magie!“ fügt Silke Britzen hinzu. „Das eröffnet uns eine einzigartige Möglichkeit, die Jets und ihren potentiellen Ursprung in unmittelbarer Nachbarschaft des zentralen Schwarzen Lochs zu verstehen. Dieser Jet ist in der Tat für uns ein Rosettastein, um den fundamentalen Zusammenhang zwischen Jets und aktiven Schwarzen Löchern in den Zentren von Galaxien zu verstehen.“

Britzen und ihr Forscherteam sind überzeugt davon, dass das Präzessionsszenario auch die über einen Zeitraum von 130 Jahren beobachteten optischen Strahlungsausbrüche erklären kann. Für die endgültige Bestätigung sind aber zunächst einmal zusätzliche Daten und weitere Analysearbeit erforderlich.

Eine nach wie vor offene Frage betrifft den Ursprung der Jetpräzession. Präzession ist ein physikalischer Prozess, den man vor allem von (Spielzeug-) Kreiseln kennt, aber auch von der Bewegung der Erde selbst. Die Rotationsachse unseres Planeten ist nicht stabil, sondern bewegt sich im Raum mit einer Periode von rund 26.000 Jahren aufgrund der Gezeitenwirkungen von Sonne und Mond. Für die Präzession des Jets von OJ 287 benennt das Team zwei mögliche Szenarien.

„Wir haben entweder ein System von zwei supermassereichen Schwarzen Löchern, wobei der von einem der beiden erzeugte Jet durch Gezeitenkräfte des anderen in eine Taumelbewegung versetzt wird“, schließt Christian Fendt vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA). „Oder aber es handelt sich um ein Schwarzes Loch, das durch Gezeitenkräfte von einer schief ausgerichteten Akkretionsscheibe beeinflusst wird.“

So oder so, der Jet der aktiven Galaxie OJ 287 ist einer der am besten untersuchten und am besten verstandenen Jets und wird mit Sicherheit helfen, Jets in den Zentren von weiteren Galaxien zu entschlüsseln. Er könnte auch dazu beitragen, die immer noch rätselhafte Aktivität von supermassereichen Schwarzen Löchern in den Zentren von Galaxien aufzuklären.

Der Begriff “Rosetta Stone of Blazars” wurde geprägt von Leo O. Takalo im Übersichtsartikel “OJ 287: The Rosetta stone of blazars” in der Fachzeitschrift “Vistas in Astronomy” (1994, Vol. 38, Ausgabe 1, pp.77-109).

Das Forscherteam umfasst S. Britzen, C. Fendt, G. Witzel, S.-J. Qian, I.N. Pashchenko, O. Kurtanidze, M. Zajacek, G. Martinez, V. Karas, M. Aller, H. Aller, A. Eckart, K. Nilsson, P. Arévalo, J. Cuadra, M. Subroweit, und A. Witzel.

Autoren mit MPIfR-Affiliation sind Silke Britzen, die Erstautorin, sowie Michal Zajacek, Andreas Eckart und Arno Witzel.

Originalveröffentlichung:

S. Britzen et al.: OJ287: Deciphering the “Rosetta stone of blazars”, 2018, Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 21. Juni 2018 (doi.org/10.1093/mnras/sty1026)

Kontakt:

Dr. Silke Britzen
Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn.
Fon: +49 228 525-280
E-mail: sbritzen@mpifr-bonn.mpg.de

Dr. Christian Fendt
Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg.
Fon: +49 6221 528-387
E-mail: fendt@mpia-hd.mpg.de

Dr. Norbert Junkes,
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn.
Fon: +49 228 525-399
E-mail: njunkes@mpifr-bonn.mpg.de

https://www.mpifr-bonn.mpg.de/pressemeldungen/2018/9

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