Geringere Fügekräfte, besserer Halt


Sie verbinden unterschiedliche Werkstoffe und greifen den Oberflächenschutz nicht an: Mechanische Verbindungstechniken wie das Durchsetzfügen sind in der blechverarbeitenden Industrie weit verbreitet. Eine Weiterentwicklung, das »Radial-/Taumelclinchen«, erweitert den Anwendungskreis des Clinchens nun auch auf Verbindungen, die besonders starken Belastungen ausgesetzt sind.

Blechverbindungen, die besonders starken Belastungen ausgesetzt sind, werden bislang punktgeschweißt. Die Palette reicht von Lüftungskanälen bis hin zu Automobilkarosserien und Schienenfahrzeugen. Eine wirtschaftliche Alternative zum Punktschweißen ist das »Radial-/Taumelclinchen«, eine neue Form des Durchsetzfügens. »Es kommt mit bis zu 90 Prozent weniger Kraft aus und schafft Verbindungen gleich guter oder sogar besserer Qualität als herkömmliche Clinchverfahren«, konnten seine Erfinder Jochen Spingler und Dr. Johannes Wößner in Versuchen belegen. Die geringen Fügekräfte machen es möglich, leichtere Werkzeuge mit größerer Ausladung zu bauen. Davon profitiert sowohl die flexible manuelle Fertigung als auch die automatisierte mit Robotereinsatz an Großbauteilen. Manuelle Fügeeinrichtungen macht das geringere Gewicht leichter handhabbar. Beim Robotereinsatz werden großformatige C-Rahmen möglich. Anstelle der bislang beispielsweise in der Automobilindustrie üblichen stationären Pressen erlauben sie eine wesentlich flexiblere Prozessgestaltung.

Beim Clinchen sind vergleichsweise hohe Fügekräfte erforderlich – ca. 40 – 50 kN pro Punkt beispielsweise bei den derzeitigen Serienanwendungen in der Automobilindustrie. Die Verbindung zwischen den beiden Blechen entsteht durch einen lokalen Umformvorgang. Ein Stempel drückt das Blech in die zugehörige Matrize, wodurch eine druckknopfähnliche Verbindung entsteht. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Bleche beschichtet oder oberflächenbehandelt sind, unterschiedliche Dicken haben, aus unterschiedlichen Materialien (z. B. Stahl und Aluminium) sind, oder ob eine Zwischenlage aus Folie oder Papier erforderlich sein sollte. Beim herkömmlichen Clinchverfahren wird der Stempel geradlinig in die Bleche gedrückt. Das Taumelclinchen nutzt die spezifische Stempelkinematik von Taumel- bzw. Radialfügepressen. »Der Fügestempel kann sich auf einer kreisförmigen Bahn oder mit einer abweichenden Kinematik bewegen, z. B. in einer Rosettenbewegung«, erklärt Wößner. Die Stempelbahn führt dabei stets über die Mitte des Fügepunkts, ohne dass der Stempel um die eigene Achse rotiert. Durch die deutlich kleinere Umformzone wirkt auf den Stempel ein vergleichsweise geringe axiale Kraft. Sie ist um 70 – 90 Prozent geringer als beim konventionellen Clinchen.

Die abwälzende Bewegung des Fügestempels formt das Blech im Bereich der Kontaktfläche des Stempels so um, dass der Fügeteilwerkstoff entsprechend der Matrizenform fließt. D. h. der Werkstofffluss findet sowohl in axialer als auch in radialer Richtung statt. Im Fügeelement entsteht ein Hinterschnitt, der die Verbindung extrem belastbar macht. Die derzeit mit dem Taumelclinchen erreichbaren Haltekräfte sind mit den Haltekräften der konventionell hergestellten Clinchpunkte vergleichbar, wenn nicht besser: »Wegen der geringeren Kaltverfestigung des Blechmaterials in der Umformzone im Vergleich zum konventionellen Clinchen kann man bei Taumelclinchpunkten von einer höheren Energieaufnahmefähigkeit und somit von einem günstigeren Crash-Verhalten ausgehen«, ist sich Wößner sicher.

Die ersten im Vorfeld gewonnenen Erkenntnisse zu Grunde legend, geht er außerdem davon aus, dass sich das »Radial-/Taumelclinchen« selbst bei größeren Blechdicken einsetzen lässt. Das betrifft insbesondere den LKW- und im Schienenfahrzeugbau. Hier müssen überwiegend Bleche mit Gesamtdicken von über sechs Millimetern verarbeitet werden. Das wirtschaftlichere Taumelclinchen könnte in vielen Fällen die teuren Schraub-, Niet- und Schweißverfahren ersetzen. Auch bei der Anwendung neuer Werkstoffe und Werkstoffkombinationen für den Leichtbau eröffnet dieses Verbindungsverfahren neue Möglichkeiten. Durch seine speziellen Bewegungen legiert der Stempel bei gewaschenem Aluminium nicht an und die partielle Werkstoffumformung erlaubt es, selbst spröde Materialien zu clinchen. Und nicht nur die: Viele höherfeste Materialien und Edelstahl werden durch die partielle Umformung überhaupt erst serientauglich clinchbar.


Ihre Ansprechpartner für weitere Informationen:
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
Dr.-Ing. Johannes Wößner, Telefon: 0711/970-1585, Telefax: 0711/970-1006, E-Mail:  jfw@ipa.fhg.de
Dipl.-Ing. Jochen C. Spingler, Telefon: 0711/970-1202, Telefax: 0711/970-1006, E-Mail: jos@ipa.fhg.de

Media Contact

Dipl.-Ing. Michaela Neuner idw

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Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

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