Polyvinylamin: Der maßgeschneiderte Anzug für bioverträgliche Werkstoffe

Im Festkörper-NMR-Labor der TU Chemnitz untersuchen Prof. Stefan Spange und seine Mitarbeiterin Isabelle Roth eine funktionalisierte Polyelektrolytschicht, die chemisch auf Kieselgel-Partikel aufgebracht wurde. (Foto: TU Chemnitz / Uwe Meinhold)

Polymerchemiker der TU Chemnitz ist es gelungen, ein völlig neues Polymer nur 0,5 Nanometer dünn auf feste Oberflächen aufzubringen. Diese von außen steuerbare Polyelektrolytschicht dürfte vor allem die Medizin interessieren: Sie hilft, dass Implantate bioverträglich einwachsen und ist grundsätzlich in der Lage, medizinische Wirkstoffe im Organismus genau dorthin zu transportieren, wo sie gebraucht werden.

Um die unlöslichen Strukturen des Hybridmaterials, auf der die neue Polyelektrolytschicht aufgebracht wurde, mittels Kernspin-Resonanz-Spektroskopie zu betrachten, wird die Probe im Mörser zerkleinert. (Foto: TU Chemnitz / Uwe Meinhold)
Sie ist nur wenige Nanometer dünn und wirkt buchstäblich Wunder: Eine Polyelektrolytschicht verhilft Metallen oder keramischen Stoffen zu Eigenschaften, die sie von Hause aus nicht mitbringen. Sie sorgt beispielsweise in der Medizin dafür, dass Implantate bioverträglich einwachsen. Polymerchemikern der Technischen Universität Chemnitz ist nun etwas gelungen, das weltweit seinesgleichen sucht: Sie haben ein Verfahren entwickelt, um nur 0,5 bis zwei Nanometer dünne Polyelektrolytschichten gezielt auf feste Oberflächen aufzubringen.

Zu diesem Zweck wurde an der Chemnitzer Professur für Polymerchemie ein neues Polymer mitentwickelt, das Polyvinylamin (PVAm) heißt und es den Wissenschaftlern nunmehr erstmals erlaubt, auf die Eigenschaften der Polyelektrolytschicht von außen direkten Einfluss zu nehmen. So ist es möglich, die Polarität der funktionalen Schicht oder die Schichtdicke zu variieren, indem zum Beispiel der pH-Wert oder der Grad der Molekülspaltung verändert wird. „Wir können so genau steuern, womit sich die Schicht verbindet“, erläutert Prof. Dr. Stefan Spange das Ergebnis des seit 1996 laufenden Forschungsprojektes „Polyelektrolyte“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft, das in diesen Wochen mit dem überaus erfolgreichen Ergebnis abgeschlossen wird. „Damit lassen sich maßgeschneiderte funktionelle Werkstoff-Oberflächen schaffen“, so Prof. Spange, der die Professur für Polymerchemie der TU Chemnitz leitet.

Weil aus Polyvinylamin bestehende Polyelektrolytschichten überaus bioverträglich sind und sich zudem nach gewünschter Zeit in Wasser auflösen, sind den Anwendungen des Chemnitzer Polymers kaum Grenzen gesetzt. Zwei Beispiele aus der Medizin: Derart beschichte künstliche Hüftgelenke könnten die verträgliche Einheilung des Bioimplantats enorm verbessern. Ebenso ist denkbar, dass medizinische Wirkstoffe in genauer Dosis an die Polymerkette gebunden und direkt zu den Zellen transportiert werden, wo sie für die gewünschte Heilung sorgen sollen.

Hintergrund Polyelektrolytschicht:

Polyelektrolytschichten lagern sich in wässrigen Lösungen an feste Oberflächen an. Diese Schichten bestehen aus Polymeren – das sind Makromoleküle aus vielen kleinen Molekülen, den Monomeren – die bis zu 30 Nanometer lange Ketten bilden. Auf diesen Polymerketten sind positiv geladene Ionen – so genannte Kationen – in hoher Ladungsdichte fixiert. In der wässrigen Lösung verknüpft sich die polyelektrolytischer Schicht mit der anorganischen Oberfläche, indem freischwebende negativ geladene Ionen – die Anionen- des Festkörpers an die auf der Polymerkette befindlichen Kationen andocken.

Wichtiger Hinweis für die Medien: In der Pressestelle können Sie kostenlos themenbezogene Fotos anfordern. Auf dem ersten Bild sind der Polymerchemiker Prof. Dr. Stefan Spange und seine wissenschaftlichen Mitarbeiter Isabelle Roth und Andreas Seifert (im Hintergrund) im Festkörper-NMR-Messlabor der TU Chemnitz zu sehen. Sie untersuchen Kieselgel-Partikel, auf die ein funktionalisiertes Polyvinylamin, kurz PVAm, chemisch aufgebracht wurde. Um die unlöslichen Strukturen des Hybridmaterials mittels Kernspin-Resonanz-Spektroskopie (NMR – Nucleus Magnetic Resonance) zu betrachten, muss die Probe im Mörser zerkleinert werden. Das zweite Bild zeigt ein Fläschchen, in dem das Hybridmaterial mit der neuen Polyelektrolytschicht aufbewahrt wird. (Fotos: TU Chemnitz / Uwe Meinhold)

Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Stefan Spange, Inhaber der Professur Polymerchemie der TU Chemnitz, unter Telefon (03 71) 531 13 36 oder per E-Mail unter stefan.spange@chemie.tu-chemnitz.de

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Alexander Friebel idw

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