Fremdenfeindliche Täter: Prävention muss früh, individuell und an Emotionen ansetzen

Fremdenfeindliche Gewalttäter sind das Ergebnis typischer Entwicklungsprozesse. Das zeigen neueste Studien des Deutschen Jugendinstituts und der Universitäten Jena und München.

  1. Vielfach wuchsen diese Gewalttäter in zerbrochenen Familien mit einem kalten, gewalttätigen Erziehungsklima und in Heimen auf, wo sie Gewalt als Hauptmittel zur Regulierung alltäglicher Situationen erfuhren und sich aneigneten. Auffällig sind die starken Emotionen der Angst, Ohnmacht, Wut und Trauer, die sie als Kinder erlebten und in Aggressivität umsetzten. Rechtsextreme Einstellungen werden in dieser Phase noch kaum angenommen.
  2. Die schulische Sozialisation war durch zunehmendes Leistungsversagen, Aggressivität, Schulabbruch und Delinquenz gekennzeichnet (neun von zehn Gewalttäter fielen bereits in der Grundschule durch Gewaltanwendung auf).
  3. Im Jugendalter kam der Gruppensozialisation in fremdenfeindlichen und rechtsextremen Cliquen die stärkste Bedeutung zu. Die meist schon seit der Kindheit vorhandene Aggressivität richtete sich jetzt nicht mehr nur gegen Mitschüler und Lehrer, sondern zunehmend gegen Minderheiten (ethnisch Fremde, Punks, „Linke“ usw.).

Und wie steht es allgemein mit fremdenfeindlichen, antisemitischen und rechtsextremistischen Tatverdächtigen und Tätern, die Asylbewerber zusammenschlagen, „Linke“ verprügeln, Hakenkreuze schmieren oder Nazi-Parolen brüllen? Im Verlauf der 1990er Jahre änderte sich ihre Struktur wenig, wenn man den verfügbaren Polizeidaten trauen darf. Immer noch ist danach der größte Teil männlich, ledig und zwischen 15 und 24 Jahren alt. Zugenommen hat der Anteil der weiblichen Tatverdächtigen. Wenn junge Frauen wegen entsprechender Delikte verurteilt wurden, waren deren Gewalttaten so brutal wie die der männlichen Täter.
Die große Mehrzahl der Tatverdächtigen waren Schüler, Auszubildende oder Erwerbstätige. Arbeitslose waren gegenüber der Normalbevölkerung zwar deutlich überrepräsentiert, aber vier Fünftel waren nicht arbeitslos. So erscheint Arbeitslosigkeit als eine wichtige, aber nicht die wichtigste Bedingung, die Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus begünstigt. Der Anteil der Tatverdächtigen, der bereits wegen politischen oder nichtpolitischen Straftaten vorher der Polizei bekannt war oder verurteilt wurde, hat zugenommen. Das spricht für früh beginnende und lang andauernde Kriminalitätskarrieren und eine große Überschneidung fremdenfeindlicher und rechtsextremistischer Taten mit der allgemeinen Delinquenz. In der großen Mehrzahl der Fälle handelt es sich um Gruppentaten. Sie sind nach Ansicht der Polizei relativ selten von außen organisiert, sondern eher spontan. Starker Alkoholkonsum ist immer noch eine erhebliche Vorbedingung oder Begleiterscheinung fremdenfeindlicher und rechtsextremistischer Taten.

Was folgt aus den Ergebnissen für die Prävention? Emotional auffälligen Kindern (besonders zu Wutanfällen neigende, sehr ängstliche und traurige Kinder) verlangen individuell differenzierte und frühe Hilfen für ihre emotionale und soziale Entwicklung. Hierzu sind aufsuchende Familienhilfen und Maßnahmen im Kindergarten und in der Grundschule notwendig. Allerdings sind Kindergärtnerinnen und Lehrer von ihrer Ausbildung her dafür kaum gerüstet. Die Schulen haben die breiteste Möglichkeit, nicht nur auf die kognitive, sondern auch auf die soziale und emotionale Entwicklung der Kinder einzuwirken – weil die Schule die einzige Einrichtung ist, die alle Kinder durchlaufen müssen, während freiwillige Angebote oft die Gefährdeten nicht erreichen. Das geschieht aber höchst unzureichend. Offenbar werden – siehe auch die Ergebnisse der PISA-Studie – in weiten Bereichen nicht nur die kognitiven Kompetenzen der Schüler zu wenig gefördert. Für die Förderung der emotionalen und sozialen Kompetenzen sind die Lehrer nach ihren eigenen Aussagen zu wenig ausgebildet, und sie haben zu wenig Unterrichtszeit dafür.
Jugendhilfeangebote kommen oft viel zu spät, sie sind auf die 16-18jährigen konzentriert. Dagegen mangelt es an attraktiven Offerten für die Zeit der Pubertät – in dieser Phase schlossen sich die meisten Täter fremdenfeindlichen Cliquen an, die sie offenbar interessanter fanden. Die Offerten der Jugendhilfe müssen deutschen und nichtdeutschen Jugendlichen gelten, gefährdete Jugendliche beider Gruppen rüsten gerne zu gegenseitigen Kämpfen. Politische Aufklärung und historische Bildung erreichen meist nur politisch interessierte, liberale Jugendliche, aber kaum die wirklich Gefährdeten. Bei ihnen ist – möglichst schon in der Kindheit – auf emotionale Persönlichkeitsdefizite, Alkoholismus und Aggressionsneigung einzugehen. Denn die in Politik und Öffentlichkeit populäre Rede von den „politischen“ Gewalttaten ist häufig missverständlich. Oft erscheinen die „rechtsextremen“ Motive der Täter wie nachgeschobene Rationalisierungen ganz anderer Probleme, von emotionalen Belastungen und allgemeiner Aggressivität.
Die Möglichkeiten der Polizei zur frühen Vorbeugung sind begrenzt. Aber sie kann Kindern und Jugendlichen, die Delikte begehen, die von ihnen überschrittenen Grenzen zum Strafrecht deutlich machen, auch durch Verweis auf Sanktionen. Das kann durch speziell für den Umgang mit delinquenten Kindern und Jugendlichen ausgebildete Polizistinnen und Polizisten erfolgen. Schärfere Strafen nützen wenig, durch die häufig starken tatbegleitenden Affekte wird gar nicht mehr an mögliche Strafen gedacht. Es muss vorher Flagge gezeigt werden.

Die Autoren der Studien sehen einen Mangel an interdisziplinärer Grundlagenforschung zur gesamten Lebensgeschichte der gefährdeten Kinder und Jugendlichen jenseits von politischen Konjunkturen und kurzfristigen Forschungsaufträgen. Ebenso fehle es an der längerfristigen Evaluation (jenseits kurzfristig verpuffender Wirkungen) von Praxisansätzen in diesem Bereich.

Die Ergebnisse beruhen auf Studien über (1) alle Polizeiakten zu fremdenfeindlichen, antisemitischen und rechtsextremistischen Tatverdächtigen in Deutschland im Jahre 1997 (6229 auswertbare Fälle), (2) eine größere Zahl einschlägiger Gerichtsurteile (217 Urteile zu 352 Angeklagten für 1997/98), (3) verurteilte fremdenfeindliche Gewalttäter (115 fremdenfeindliche Gewalttäter und eine Kontrollgruppe von 36 Nichtkriminellen).
Die beiden ersten Untersuchungen führte eine Forschungsgruppe um PD Dr. Klaus Wahl vom Deutschen Jugendinstitut e.V. (München) im Auftrag des Bundesministeriums des Innern durch. Die dritte Untersuchung erfolgte gemeinsam durch Forschungsteams um Prof. Dr. Wolfgang Frindte (Universität Jena) und Klaus Wahl (Deutsches Jugendinstitut und Universität München). Diese Studie wurde von der Volkswagenstiftung finanziert. Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden jetzt veröffentlicht:

Klaus Wahl (Hrsg):
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rechtsextremismus. Drei Studien zu Tatverdächtigen und Tätern. Berlin: Bundesministerium des Innern 2001
– Reihe: Texte zur Inneren Sicherheit, Band III/2001. Kostenlos zu beziehen bei: ibro Funk- und Marketing Kastanienstr. 1, 18184 Roggentin, Tel.: 038204/66543, Fax: 038204/66219, E-Mail: bmi@ibro.de

Weitere aktuelle Publikationen des Deutschen Jugendinstituts zu diesem Thema:
DISKURS – Studien zu Kindheit, Jugend, Familie und Gesellschaft, Jahrgang 11, 2001, Heft 2
(Heftthema: Bunte Gesellschaft – braune Gewalt“ mit Forschungs- und Praxisbeiträgen). ISSN 0937-96144 (nur über Buchhandel).

Klaus Wahl, Christiane Tramitz, Jörg Blumtritt:
Fremdenfeindlichkeit: Auf den Spuren extremer Emotionen.
Opladen: Leske + Budrich 2001. ISBN 3-8100-3137-2 (nur über Buchhandel)

Kontakt:
Deutsches Jugendinstitut e.V.
PD Dr. Klaus Wahl
Nockherstraße 2, 81541 München, Telefon 089/62306-128, E-Mail wahl@dji.de

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Barbara Keddi idw

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