Marketing-Hase gegen Konsumenten-Igel

Wer macht das Rennen im Kampf um den Konsumenten? Franz Liebl und Thomas Düllo zeigen, was Marketing von Hackern und Künstlern lernen kann


Es scheint, als seien die klassischen Konzepte des Marketings an ihre Grenzen gestoßen. Der flotte Marketing-Hase hat das Rennen gegen den Konsumenten-Igel verloren: Der widerspenstige Konsument entzieht sich in der Vielfalt und im Crossover seiner Lebenslagen und -bedürfnisse zunehmend jeder Planbarkeit.

Höchste Zeit also, über neue Formen des Marketings nachzudenken, meinen Prof. Dr. Franz Liebl (Lehrstuhl für Strategisches Marketing der Universität Witten/Herdecke) und Dr. Thomas Düllo (Institut für Erziehungswissenschaften der Uni Magdeburg). Beide Wissenschaftler haben gerade ein Buch herausgegeben, das vielleicht bald schon zur Standardlektüre in deutschen Marketingabteilungen gehören könnte: „Cultural Hacking – Kunst des Strategischen Handelns“ (Springer 2005).

Für frustrierte Marketingschaffende bieten Liebl, Düllo und insgesamt 18 Autoren eine sicher nicht leicht zu konsumierende, vielleicht sogar bitter schmeckende Therapie: Orientiert Euch in Eurer Arbeit mehr an Hackern und Künstlern, anstatt Kampagnen auszutüfteln, die bei ihrer Realisierung bereits überholt sein könnten. Was machen Hacker anders? Was kann man von ihnen lernen? Subversion und das Schaffen überraschender Neu-Orientierungen. Beinahe wie Künstler haben sie eine Kultur der Zweckentfremdung, des konzeptionellen Bastelns und der Umcodierung entwickelt. Ihr Vorgehen folgt keinem Masterplan, sondern Versuch und Irrtum. Ständig produzieren sie neue Verzweigungen und Ebenen, ignorieren einfach die angestammten Kontexte der Elemente. Ein „Hack“ fügt Entferntes zusammen und macht es mit einem Mal logisch. Mit diesem Vorgehen sind die Hacker viel näher am realen Verhalten der Konsumenten, als es sich viele Marketingexperten bisher träumen lassen.

Der unberechenbare Konsument „hackt“ in gewisser Weise auch. Um die Einfallslosigkeit der Hersteller zu umgehen oder die Widrigkeiten des Alltags auszuhebeln, werden erstaunlich viele Produkte zu einem völlig anderen Zweck benutzt, als sie ursprünglich hergestellt wurden. Damit jedoch entpuppt sich der Konsum als zweiter Akt der Produktion – eine Dimension, die Marketingexperten bisher noch vernachlässigen. Auch in der Kombination verschiedener Produkte sind Konsumenten erstaunlich einfallsreich: Klamotten vom Flohmarkt werden z.B. einfach mit sündhaft teuren Markenaccessoires gekreuzt. In den oft spontanen Strategien der Umwertung und Einordnung in neue Kontexte gleicht der Konsument vielfach einem Hacker.

Der Band verfolgt jedoch auch noch ein anderes Ziel: Er will den Stand der Forschung zum Thema Cultural Hacking systematisieren. Denn „trotz anekdotischer Versuche ist eine Bestandsaufnahme situationistischer Methoden, Strategien und Techniken bis heute nicht geleistet worden“, schreiben die Herausgeber. Darüber hinaus möchten Liebl und Düllo die „ökonomische und politische Relevanz“ dieser Methoden unter die Lupe nehmen.

Düllo/Liebl: Cultural Hacking – Kunst des Strategischen Handelns, Wien/New York (Springer) 2005, 352 Seiten, 37 Euro, ISBN 3211232788

Kontakt: Prof. Dr. Franz Liebl, Tel. 02302/926-526, E-Mail: franzl@uni-wh.de

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Dr. Olaf Kaltenborn idw

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