Neuer Forschungsverbund der EU auf dem Gebiet der Plattentektonik

Mit einem neuen Forschungsverbund der Europäischen Union im Bereich der Geowissenschaften baut die Universität Bayreuth ihre federführende Mitwirkung an transnationalen EU-Projekten weiter aus. Ab Februar 2007 koordiniert das Bayerische Geoinstitut (BGI), eine Zentrale Wissenschaftliche Einrichtung der Bayreuther Universität, das Marie Curie Research Training Network „crust to core: the fate of subducted material“ (kurz: „c2c“).

Dieses interdisziplinäre Netzwerk verbindet zehn Universitäten und Forschungsinstitute in neun europäischen Ländern. Es wird von der EU über einen Zeitraum von 4 Jahren mit insgesamt ca. 3,3 Millionen Euro gefördert. Verantwortlicher Koordinator ist Dr. Gerd Steinle-Neumann, der sich am BGI eine auf die Erforschung des tiefen Erdinneren spezialisiert hat.

Plattentektonische Grundlagenforschung:
eine Voraussetzung für effiziente Frühwarnsysteme
Das europäische c2c-Netzwerk wird sich der Analyse von Subduktionsprozessen widmen. Dabei handelt es sich um einen speziellen Typ von Prozessen im Bereich der Plattentektonik, die entscheidende Auswirkungen auf die Gestaltung der Erdoberfläche und der Erdkruste haben. Die äußerste Schale der Erde ist die Lithosphäre. Sie setzt sich aus zahlreichen großräumigen Platten zusammen, die sich in ständiger Bewegung befinden. Wenn zwei Lithosphärenplatten mit hohem Druck aneinanderstoßen, kann es dazu kommen, dass die eine Platte sich unter die andere schiebt. Diese Subduktion tritt besonders häufig dann auf, wenn ozeanische und kontinentale Platten gegeneinander treffen. Denn ozeanische Platten besitzen aufgrund ihrer mineralogischen Zusammensetzung eine höhere Dichte und damit ein höheres Gewicht als kontinentale Platten. Daher weichen sie bei einem Zusammenprall nach unten aus und schieben sich unter die jeweilige kontinentale Platte. Hier tauchen sie in den Erdmantel ein und können infolge extrem hoher Drücke und Temperaturen Schmelzprozessen und anderen physikalisch-chemischen Vorgängen unterworfen sein.

Regionen der Erde, in denen derartige Prozesse der Unterschiebung ablaufen, werden in den Geowissenschaften als Subduktionszonen bezeichnet. Sie sind in erhöhtem Maße durch Erdbeben gefährdet. Denn die Drücke, die durch das Aneinanderstoßen der Platten entstehen, verursachen erhebliche tektonische Spannungen, die sich an der Erdoberfläche oder auf dem Meeresboden abrupt entladen können. Ein derartiges Seebeben ereignete sich im Dezember 2004 im Sundagraben, einer Subduktionszone im Indischen Ozean. Es löste einen Tsunami aus, mit katastrophalen Folgen für zahlreiche Regionen in Südostasien. Auch die Entstehung und der Ausbruch von Vulkanen sowie chemische Abläufe in der Erdatmosphäre können durch Subduktionsprozesse wesentlich beeinflusst werden. Steinle-Neumann betont in diesem Zusammenhang den praktischen Nutzen der geowissenschaftlichen Grundlagenforschung: „Plattentektonische Vorgänge werden sich durch den Menschen auch künftig nicht verhindern oder steuern lassen. Indem wir diese Prozesse, ihre Ursachen und ihre Folgen besser verstehen lernen, können wir aber zu einer verbesserten Früherkennung von Natureignissen beitragen und auch den Aufbau entsprechender Frühwarnsysteme unterstützen.“

Europäische High-Tech-Forschung im interdisziplinären Verbund

Im Mittelpunkt der Forschungsarbeiten im c2c-Netzwerk stehen die chemischen und physikalischen Aspekte des Materialtransports von der Erdkruste ins Erdinnere, die Wechselwirkungen des transportierten Materials mit seiner jeweils angrenzenden Umgebung sowie die Veränderungsprozesse, denen das ins Erdinnere gelangte Material unterworfen ist. Eine Vielzahl diesbezüglicher Fragen ist bis heute ungeklärt geblieben. Unterschiedliche natur- und geowissenschaftliche Disziplinen sind ihren jeweils fachspezifischen Problemstellungen nachgegangen, ohne die Querverbindungen herzustellen, die für ein vertieftes Verständnis plattentektonischer Prozesse erforderlich sind. Diese Aufsplitterung wird durch die Organisationsstrukturen des neuen EU-Projekts überwunden. Exzellente Forschungskompetenzen und Labortechnologien aus verschiedenen Fachrichtungen – von der Gesteinskunde (Petrologie) über die mineralogische Chemie bis zur Hochtemperaturphysik – werden im c2c-Netzwerk zusammengeführt und gezielt für die Analyse von Subduktionsphänomenen eingesetzt. So entsteht eine fächerübergreifende Vernetzung, die in dieser Intensität und auf diesem technologischen Niveau im Bereich der Plattentektonik-Forschung einzigartig ist. Die folgenden Einrichtungen sind zusammen mit dem Bayerischen Geoinstitut am c2c-Netzwerk beteiligt: Karls-Universität Prag; ETH Zürich; Friedrich-Schiller-Universität Jena; Universidad Sevilla; Université Pierre und Marie Curie, Paris; Polnische Akademie der Wissenschaften, Krakau; Geodynamics Center, Trondheim; University College London, Università degli Studi di Milano.
Die Bayreuther Wissenschaftler können in diese transnationale Kooperation insbesondere die herausragenden Forschungstechnologien einbringen, die das BGI international zu einer führenden Einrichtung auf dem Gebiet der Hochdruck- und Hochtemperaturforschung machen. Diese Technologien ermöglichen die experimentelle Untersuchung von Prozessen, die auf der Erdoberfläche oder im Erdinnern ablaufen. In Verbindung mit neuartigen Methoden der Modellbildung und der Computer-Simulation versetzen sie die Geoforschung in die Lage, reale geologische Situationen und Vorgänge am Bildschirm präzise nachzustellen. Im Bereich der Subduktionsforschung sollen mithilfe dieser High-Tech-Verfahren vor allem die elektronischen und magnetischen Eigenschaften untersucht werden, die das Erdmaterial unter hohen Drücken entwickelt. Insgesamt werden sich die Forschungsarbeiten im c2c-Projekt auf fünf Schwerpunkte – sogenannte „Work Packages“ – konzentrieren: Phasengleichgewichte und Stabilität; Elektronische und magnetische Eigenschaften; Zustandsgleichung und Elastizität, Kinetik und Wärmetransport; Mechanische Eigenschaften.

Im Rahmen des „c2c“-Netzwerks sind 11 Doktoranden- und 5 Postdoktorandenstellen ausgeschrieben, die sich über die 10 Partnerinstitute verteilen. Ziel ist es, jungen Wissenschaftlern den Zugang zu den bestmöglichen Ausbildungsbedingungen in einer internationalen Atmosphäre zu ermöglichen.

Engagiert für die europäische Nachwuchsförderung: das Bayerische Geoinstitut

Das Bayreuther Geoinstitut setzt sich bereits seit vielen Jahren für europäische Forschungskooperationen und für die Förderung eines internationalen wissenschaftlichen Nachwuchses ein. Im Rahmen des „Research Infrastructures – Transnational Access (RITA)“-Programms der Europäischen Union macht es Forschern aus dem europäischen Ausland seine experimentellen und analytischen Einrichtungen für 324 „Wissenschaftler-Tage“ pro Jahr zugänglich und ermöglicht ihnen intensive Kontakte mit den Bayreuther Geowissenschaftlern. Zudem hat das BGI den Status einer „Marie Curie Training Site“ der EU für vielversprechende Nachwuchsforscher. Das c2c-Projekt wird junge Wissenschaftler aus den beteiligten Partneruniversitäten gezielt in die Forschungsarbeiten einbeziehen und so einen weiteren gewichtigen Beitrag zur europäischen Nachwuchsförderung leisten.

Startveranstaltung in Bergamo, 26.- 28. Februar 2007

Der Koordination und Vorbereitung der anstehenden Forschungsarbeiten dient ein „Kick off-Meeting“, das für den 26. – 28. Februar 2007 geplant ist. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der zehn Partnereinrichtungen kommen im italienischen Bergamo zusammen, um sich über Ergebnisse, Verfahren und Ziele der Subduktionsforschung auszutauschen. Zu diesem internationalen Treffen werden auch namhafte Gastredner von außereuropäischen Universitäten erwartet.

Kontaktadresse für weitere Informationen:

Dr. Gerd Steinle-Neumann
c2c-MCRTN
Bayerisches Geoinstitut
University of Bayreuth
D-95440 Bayreuth
Tel: +49-(0)921-55-3702
Fax: +49-(0)921-55-37698
E-Mail: c2c@uni-bayreuth.de

Media Contact

Christian Wißler idw

Weitere Informationen:

http://www.c2c.bgi.uni-bayreuth.de

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Die Geowissenschaften befassen sich grundlegend mit der Erde und spielen eine tragende Rolle für die Energieversorgung wie die allg. Rohstoffversorgung.

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