Simulierter Meeresspiegelanstieg auf Langeoog

Im Vordergrund Reste des Sommerdeichs 2004 (links) ... nur noch ein heller Saum läßt den ehemaligen Damm erahnen (rechts) Fotos: J. Barkowski, ICBM-Meeresstation

Wissenschaftler des ICBM und des Forschungszentrums TERRAMARE arbeiten seit 2004 in einem vorerst bis September dieses Jahres von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projekt auf Langeoog. Ein seit den 30er Jahren durch einen niedrigen Sommerdeich vor Überflutungen weitgehend geschützter Sommerpolder wurde 2004 dem Einfluß des Meeres wieder preisgegeben – ein naturschützerischer Ausgleich für Pipline-Baumaßnahmen der 90er Jahre im Nationalpark Wattenmeer.

Auf Langeoog wie auf anderen Ostfriesischen Inseln trieb man seit Besiedlung der Eilande im Mittelalter das Vieh zumindest im Sommer auf Salzwiesen. Und da die auch in der warmen Jahreszeit bisweilen überflutet werden, baute man Sommerdeiche. Die Folge: Aus heutiger Sicht als schützenswert eingestufte Salzwiesen wurden vom unmittelbaren Einfluß des Meeres abgeschnitten. Der Boden im Polder süßte aus, typische Pflanzen vor allem der unteren, wattennahen Wiesen verschwanden. Die Beweidung tat ihr übriges: Besonders verbiss- und trittresistentes Grün breitete sich bevorzugt aus. So geschehen auf Langeoog ab Mitte der 30er Jahre durch einen fünfeinhalb Kilometer langen Damm, der von nun an die schlammig grauen Fluten von etwa 218 Hektar Grünland trennte. Das tat er bis vor zwei Jahren, dann riss man ihn ein. Seitdem beobachten Jan Barkowski, Kerstin Kolditz und ihre Kollegen auf der Insel zwischen Accumer Ee und Otzumer Balje – gleichsam wie in einem gigantischen Simulator – was passiert, wenn das Meer an den von ihm überspülten Gestaden immer mehr die Regie übernimmt. Barkowski widmet sich überwiegend den Veränderungen im Bewuchs des Polders, Kolditz befaßt sich vor allem mit dem Verbleib metallischer Elemente im wiedererstehenden Salzwiesenbereich. Das Wilhelmshavener Forschungszentrum TERRAMARE wirkt hier – neben wissenschaftlicher Beteiligung – einmal mehr als Dienstleister für die Niedersächsische Meeresforschung: Es entwickelte spezielle Porenwasserlanzen, im Prinzip lange Rohre, die es erlauben, Wasserproben aus bis zu fünf Metern Bodentiefe zu nehmen und auch physikalisch-chemische Werte bis zu dieser Tiefe im Boden zu messen.

Gefragt nach spektakulären Veränderungen erwartet der Leiter des Forschungszentrums und Meereschemiker Prof. Dr. Gerd Liebezeit diese vor allem im Bereich der Pflanzengesellschaften. Von Seiten der Chemie erhalte man derzeit erwartungsgemäße Ergebnisse: Im Bereich der ehemaligen unteren Salzwiese wird der Boden schlicht salziger. Liebezeit, der sich Veränderungen der Stickstoff- und Phosphor-Nährsalzkonzentrationen im Langeooger Sommerpolder widmet, erläutert dazu: „Für Bilanzrechnungen sind die Nährstoffeinträge aus der Luft ein gravierendes Problem.“ Mit denen habe man sich bislang nur wenig auseinandergesetzt. Es sei jedoch davon auszugehen, daß Stickstoff- und Phosphorverbindungen zeitweise zur Hälfte oder sogar bis zu drei Vierteln, je nach Nährsalz, über Regen eingetragen würden. Abhängig sei dies von der Windrichtung. Anhaltspunkte gebe es dafür, daß bei Südwestwetterlagen hohe, bei Nordwind geringe Nährstoffmengen eingetragen werden. Den Einfluß des Regens untersuchen die Wissenschaftler nun genauer. Wer augenfällige Veränderungen im Untersuchungsgebiet erwartet, den verweist Liebezeit auf den Faktor Zeit: Deutlich sichtbar wird sich der Sommerpolder in einem Zeitraum über den Projektrahmen hinaus verändern. Dies dürfte vor allem die Pflanzengesellschaften und seine Gestalt – etwa zusätzliche Priele durch Sturmfluteinbrüche – betreffen. Hierzu seien Daueruntersuchungen oder zumindest Wiederholungsuntersuchungen in z.B. fünfjährigen Abständen wünschenswert und sinnvoll.

Wer genau hinschaut, wird erste Veränderungen im Langeooger Sommerpolder bereits jetzt bemerken. Einige Bestände des – für den Laien auf den ersten Blick freilich recht unscheinbaren – Grüns seien regelrecht explodiert, erläutert Jan Barkowski. So habe sich die Fläche des Strandbeifußes auf fast 40 ha verdoppelt. Auch Spießmelde und Strandsode hätten sich massiv vermehrt. Die Bodden-Binse sei hingegen in doppelter Hinsicht ein Verlierer der Deichöffnung: Trittschäden und Verbiss an Konkurrenzpflanzen begünstigten die Binse in ihrer Ausbreitung, der Fortfall der Beweidung und steigende Salzgehalte machen ihr nunmehr zu schaffen. Seit 2004 haben sich die Bestände halbiert. Warum Strandbeifuß und Konsorten sich derzeit so schnell ausbreiten, darüber rätseln die Forscher noch. Freilich gibt es Theorien. So liefern die durch den steigenden Salzgehalt absterbenden Pflanzen reichlich Stickstoff, was diesen sogenannten Nitrophyten sehr entgegen kommt. Möglicherweise setzen sie darüber hinaus besonders schnell und umfassend Samen an. Ob sich diese oder andere Faktoren als Ursachen ausmachen lassen, und ob und wie sich der Sommerpolder zu einer typischen Salzwiese zurückentwickelt, das wollen die Wissenschaftler in einer zunächst einjährigen Fortsetzung ihrer Untersuchungen klären.

[*)Institut für Chemie und Biologie des Meeres der Universität Oldenburg]

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Dr. Sibet Riexinger idw

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