EU-Forschungsprojekt offenbart Oberflächenwirkung von Erdbeben

Forschungsarbeiten der Gemeinsamen Forschungsstelle (GFS) der Europäischen Kommission haben die Wirkung eines größeren Erdbebens in abgelegenen Regionen des indischen Subkontinents offenbart und damit entscheidendes Referenzmaterial für die Analyse künftiger Erdbeben geliefert. Die Ergebnisse der Studie werden heute veröffentlicht.

Mit Hilfe von Daten des MISR-Instruments (Multi-angle Imaging SpectroRadiometer) an Bord des NASA-Satelliten Terra konnten GFS-Wissenschaftler sowie amerikanische, französische und deutsche Wissenschaftler das Erdbeben analysieren, das am 26. Januar 2001 die indische Provinz Gujarat nahe der pakistanischen Grenze erschütterte. Die Studie belegt, dass weite Bereiche um das Epizentrum betroffen waren, einschließlich Regionen, die nicht von Untersuchungsteams besucht werden konnten.

“Das sind Informationen von zentraler Bedeutung, vor allem im Hinblick auf die humanitären und wirtschaftlichen Auswirkungen solcher Katastrophen,” erklärte Philippe Busquin, für Forschung zuständiges Mitglied der Europäischen Kommission. “Mit Hilfe fortgeschrittener Weltraumtechnologie konnten verschiedene Oberflächenwirkungen von Erdbeben exakt und wirksam erfasst werden. Die erfolgreiche Zusammenarbeit auf EU- und internationaler Ebene zeigt den Nutzen eines koordinierten Vorgehens wie bei der GMES-Initiative (Globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung). Europa ist ein wichtiger Akteur in der Raumfahrt. Wir entwickeln zur Zeit in Zusammenarbeit mit der Europäischen Weltraumorganisation und nationalen Weltraumbehörden eine Raumfahrtpolitik für die EU, um weltraumgestützte Aufklärungstechnologien in den Dienst unserer politischen Ziele zu stellen.”

Verheerendes Erdbeben

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Gujarat-Untersuchung werden dazu beitragen, Erdbebenmodelle zu validieren und das Verhältnis zwischen der Stärke von Erdbeben und der Reichweite ihrer Wirkungen zu dokumentieren.

Das Erdbeben von Gujarat im Jahr 2001 richtete verheerende Schäden an. Es erreichte eine Stärke von 7,7 auf der Richter-Skala, tötete nahezu 20.000 Menschen und hinterließ über 600.000 Obdachlose. Insgesamt waren 16 Millionen Personen betroffen. Viele Gebäude wurden beschädigt, ebenso landwirtschaftliche Flächen und Infrastrukturen.

Das Erdbeben bewirkte außerdem eine plötzliche Freisetzung von Grundwasser und Sedimenten in weiten Bereichen, reaktivierte alte Flussbetten und führte zur Bildung flacher Seen. Dieses Phänomen der „Entwässerung“ war von einer Bodenverflüssigung begleitet, bei der sich Sedimente eher wie Flüssigkeiten verhalten, was schwere Schäden an Gebäuden verursachen kann.

Die Erde in einem neuen Blickwinkel

Bei diesem Kooperationsprojekt werden Messungen des MISR-Instruments an Bord des NASA-Satelliten Terra verwendet. Der Satellit wurde im Dezember 1999 gestartet. Die einzigartige Fähigkeit des MISR-Systems, die der Sonne zugewandte Seite der Erde aus neun verschiedenen Winkeln und über vier Spektralbänder zu beobachten, wurde durch ein neues Verfahren voll ausgenutzt, um das plötzliche Auftreten von Oberflächenwasser in weiten Gebieten um das Epizentrum des Erdbebens zu entdecken und zu überwachen.

Derartige Anwendungen waren bei der ursprünglichen Konzeption nicht erwartet worden. Trotzdem konnten durch Sondierungsforschungen die Vorteile der fortgeschrittenen Möglichkeiten des MISR ausgenutzt werden, um Prozesse auf der Erdoberfläche in einer neuen Weise zu untersuchen.

Das Interesse der Kommission an MISR erklärt sich aus der einzigartigen Kombination von Mehrfachwinkel- und Mehrfachspektren-Fähigkeiten des Systems, das umfangreiche Analysen von Landflächen und der darüber liegenden Atmosphäre von Pol zu Pol ermöglicht. Die Kommission war besonders intensiv an der Nutzung von MISR-Daten zur Erkennung und Charakterisierung der Eigenschaften atmosphärischer Aerosole über Land beteiligt, sowie an der Beurteilung zentraler Eigenschaften von Landoberflächen aufgrund ihrer spektralen und direktionalen Profile.

EU-Forscher, die an den Tätigkeiten des MISR-Science Team beteiligt sind, wollen Originalalgorithmen entwickeln, um neue Informationen über die Beschaffenheit der Landoberflächen zu gewinnen. Zusammen mit dem Team der NASA haben sie fortgeschrittene Forschungsarbeiten durchgeführt, um die Eigenschaften von Aerosolen und Oberflächen über Land zu erfassen, was besonders schwierig ist.

An dem Projekt beteiligte EU-Wissenschaftler erhielten im Jahr 2001 den NASA Group Achievement Award für ihren Beitrag zum Erfolg der MISR-Initiative. Die Erfahrungen aus der Teilnahme am dem MISR-Wissenschaftseam waren auch nützlich für europäische Raumfahrtbehörden und sollen auch bei der GMES-Initiative weiter verwertet werden.
Die Studie wird heute in “EOS Transactions”, der Zeitschrift der American Geophysical Union, veröffentlicht.

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