Klimaforscher untersuchen Luftschicht über dem ewigen Eis

Ideales Freilandlabor aus Schnee und Eis

Es wird wärmer: Um mindestens 1,5 Grad soll die mittlere Erdtemperatur in den nächsten 50 Jahren steigen.

An den Polen könnte die Erwärmung sogar bis zu viermal so hoch ausfallen. Der Temperaturausgleich zwischen den polaren Eisflächen und der Atmosphäre hat auf unser Klima einen großen Einfluss. Was in den Luftschichten direkt über dem Eis passiert, ist bislang aber noch kaum bekannt. Meteorologen der Universität Bonn untersuchen momentan die atmosphärischen Prozesse in der so genannten „stabilen Grenzschicht“ über den Gletscherflächen Grönlands, die sich bis eine Höhe von 100 Metern erstreckt.

Eine typische Sommernacht: Die Sonne strahlt vom blauen Himmel, das Thermometer kratzt an der -20 Grad-Marke, kein Vogelzwitschern, kein Grillenzirpen zu hören, nur der Wind, der mal schwächer, mal stärker über die weiße Eisfläche pfeift. Eine typische Sommernacht – an der Summit-Station auf dem Grönländischen Hochplateau, 3.200 Meter über dem Meeresspiegel, zu karg und kalt selbst für Eisbären und Vögel, aber nicht für die Wissenschaftler, die hier oben, im ewigen Eis, ihren Dienst tun. Soweit das Auge reicht, erstreckt sich hier eine topfebene Fläche aus Schnee und Eis – „das ist für uns das ideale Freilandlabor“, sagt Professor Dr. Günther Heinemann, der an der Summit-Station im vergangenen Juni und Juli seine Messungen durchgeführt hat, „hier können wir ohne störende Einflüsse untersuchen, wie der Energieaustausch zwischen Boden und Atmosphäre funktioniert.“

Direkt über Grönland herrscht Chaos: Wenige Meter über dem Boden findet man starke Windschwankungen; innerhalb von Sekunden kann die Temperatur um mehrere Grad fallen, um kurz darauf ebenso schnell wieder zu steigen. Das ganze Jahr über ist es hier am Boden kälter als in der Höhe: Direkt über dem Eis kühlt die Luft am stärksten aus, dann steigt die Temperatur mit der Höhe an und erreicht in etwa hundert Metern ihr Maximum. Erst danach gilt die allen Bergwanderern bekannte Faustformel: Alle hundert Meter wird’s ein Grad kälter.

„Die Turbulenzen und die umgekehrte Temperatur-Schichtung sind charakteristisch für die so genannte stabile Grenzschicht über großen Eisgebieten“, erklärt Professor Heinemann. Bei uns kann man ähnliche Phänomene beobachten: In jeder Nacht kühlt die Luft am Boden besonders stark ab, über Schneegebieten im Winter ist dieser Effekt besonders stark. „Das besondere an den riesigen Eisflächen in den Polgebieten ist aber, dass diese Grenzschicht nahezu das ganze Jahr über stabil bleibt und daß die Stabilität dort extrem groß ist – ideale Voraussetzungen, um die atmosphärischen Prozesse in solchen Schichten zu untersuchen.“

Die Meteorologen versuchen so, den Wärmetransport zwischen den polaren Eisflächen und der Atmosphäre besser zu verstehen. Denn die riesigen Gletscher beeinflussen das gesamte Weltklima; wie stark, weiß allerdings bislang niemand. Ein Grund sind die chaotischen Turbulenzen direkt über dem Eis: Je stärker die sind, desto stärker der Wärmeaustausch mit den höheren Luftschichten – ähnlich wie sich eine Suppe viel schneller abkühlt, wenn man regelmäßig die erwärmte Luft über ihr wegbläst und durch kühle ersetzt. Leider gibt es kein Modell, das die Turbulenzen vorhersagen kann; die Klimakundler möchten für ihre Prognose-Programme daher realistische Mittelwerte für die turbulenten Austauschprozesse finden.

„Wir haben daher an einer festen Station in zwei Metern über dem Eis 20 Mal pro Sekunde Windgeschwindigkeit und Temperatur gemessen“, erläutert Professor Heinemann. „Unsere Hauptexperimente haben wir aber mit einem Forschungsflugzeug durchgeführt, der Polar 2 des Alfred-Wegener-Instituts.“ Der Flieger bekam dazu gut 200 Kilogramm Messtechnik unter die Tragfäche geschnallt. Hochempfindliche Drucksensoren registrierten den Wind und verrechneten ihn mit der Fluggeschwindigkeit, andere Fühler meldeten zur selben Zeit Höhe, Temperatur, Feuchte und Lagewinkel der „Polar 2“.

So ausgerüstet, durchflog der Bonner Meteorologe mehrmals pro Woche ein quadratisches Areal von 30 Kilometern Seitenlänge und variierte dabei regelmäßig die Flughöhe zwischen 30 und 200 Metern. Die Auswertung der Datenflut wird sich über zwei Jahre hinziehen – auch wenn die Messungen nur im kurzen Polarsommer erfolgen konnten.

Ansprechpartner:

Professor Dr. Günther Heinemann
Meteorologisches Institut der Universität Bonn
Telefon: 0228/73-5102
E-Mail: gheinemann@uni-bonn.de

Media Contact

Frank Luerweg idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-bonn.de

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