Internet-Überwachungsaffäre: brandaktuelles Thema auf der ICMB 2013
Das mit Abstand höchste Potential für eine Überwachung bieten Internetdienste in Verbindung mit Smartphones. „Das Thema wird auch auf der 12th International Conference on Mobile Business, zu der sich derzeit in Berlin Forscher aus der ganzen Welt versammeln, heiß diskutiert werden“, meint PD Dr. Key Pousttchi von der Augsburger Forschergruppe wi-mobile, Gastgeber und Vorsitzender der ICMB 2013.
Wer erhebt welche Daten?
Viele Internetdienste und nahezu jede Smartphone-App erheben eine große Menge von Daten. Vieles davon ist notwendig, um den Dienst durchzuführen, vieles wäre für die eigentliche Durchführung des Dienstes nicht notwendig. Und alles wird auf Unternehmensservern gespeichert. Batterieoptimierer, die persönliche Daten lesen wollen, Nachrichtenanwendungen, die erstmal das Adressbuch des Nutzers heruntersaugen, Suchmaschinen, die sich sehr genau merken, wer was wann sucht, Smartphones, die immer erstmal die Server des Smartphoneherstellers kontaktieren, und soziale Netzwerke, die persönlichstes von ihren Nutzern wissen. Smartphones sind Geräte, die mit Kamera und Mikrofon ausgestattet sind und deren Ort verfolgt werden kann und die der Nutzer freiwillig kauft und mit sich herumträgt.
„Davon hätte Erich Mielke nicht zu träumen gewagt“, sagt PD Dr. Key Pousttchi, Leiter der Forschungsgruppe wi-mobile der Universität Augsburg. Er ist als Sprecher der in der Gesellschaft für Informatik organisierten deutschen Mobile-Business-Forscher in dieser Woche Gastgeber und Vorsitzender der 12th International Conference on Mobile Business (ICMB 2013) in Berlin. An der Universität Augsburg wird bereits seit 2001 intensiv zum Thema Mobile Business und Internet geforscht.
Die Technologie zur Auswertung derartiger Datenmengen ist vorhanden
Zwei Irrtümer, meint Pousttchi, halten sich hartnäckig: Erstens „meine Daten interessieren doch niemanden“ und zweitens „so große Datenmengen können gar nicht verarbeitet werden“. Mag das zweite vor zehn Jahren noch gegolten haben, so ist die Technik hier inzwischen deutlich weiter und kann entsprechende Daten über Nutzer im Zweifelsfall in Echtzeit verarbeiten. Auch Prognosen werden so leicht möglich. Selbst mit so einfachen Dingen wie Payment-Daten lassen sich bereits interessante Prognosen erstellen: Kreditkartenfirmen in den USA können bereits heute genauer vorher sagen, wer sich in den nächsten fünf Jahren scheiden lassen wird, als dies die Nutzer selbst können.
Ein einfaches Beispiel für das erste ist der Versicherungskonzern, der aus den Handy-Bewegungsdaten seiner Kunden ableitet, wer die Geschwindigkeitsbegrenzung überschreitet oder mit dem Handy am Steuer telefoniert. Die nächste Generation mobiler Geräte wird zum Beispiel auch viel stärker als heute darauf ausgelegt sein, Gesundheitsdaten zu messen („Quantified-self“).
Daten sind nichts Schlechtes – aber es gibt Regulierungsbedarf
Daten können für den Nutzer eine Menge sinnvoller Informationen bereitstellen und nützliche Dienste ermöglichen. „Das Problem ist“, so Pousttchi, „dass alle Daten weitgehend unkontrolliert und oft auch heimlich erhoben und sofort auf Unternehmensservern – 'in der Cloud' – statt auf dem Endgerät gespeichert werden.“ Damit würden dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Er bringt seinen Studenten das im dritten Semester mit dem Kalauer: „Die Cloud heißt Cloud, weil sie klaut“ auf eine einfache Formel. Viele Dienste, sagt er, seien absichtlich so konstruiert, dass sie möglichst viele Daten über die Kunden erheben und auf Unternehmensservern speichern. Hier bestünde dringender Regulierungsbedarf, da die Marktmacht der Anbieter von marktführenden Suchmaschinen, sozialen Netzwerken, Smartphones und Anwendungen dem Verbraucher de facto nicht ermögliche, seine Daten zu schützen.
„Die Politik aber“, so Pousttchi, „sieht diese Entwicklung in vielen Ländern nicht so ungern, weil sie oft weniger unter dem Aspekt Verbraucherschutz oder Freiheitsrechte, sondern unter dem Aspekt der inneren Sicherheit betrachtet wird. Ein ganzes Volk 24 Stunden am Tag zu überwachen, um einige Übeltäter zu finden, ist aber vielleicht nicht die richtige Lösung.“ Und vielleicht ist es dann ja auch eine fremde Regierung, die diese Daten sammelt.
Dienste auf Basis von Kundendaten werden in jedem Fall kommen, schon weil die Verbraucher es wollen – und sie werden nach Meinung der Forscher das Marketing in den nächsten 10 Jahren komplett revolutionieren. Aber die Verbraucher sollten selbst entscheiden können, wer wann wo was über sie speichert.
Konferenz ICMB
Die Konferenz ICMB 2013, veranstaltet von der Forschungsgruppe wi-mobile der Universität Augsburg, der internationalen Wirtschaftsinformatik-Organisation Association for Information Systems (AIS) und der Fachgruppe Mobilität und mobile Informationssysteme (GI-MMS) der Gesellschaft für Informatik e.V. findet vom 10.-13.06.2013 in Berlin statt. Sie war bereits in Städten wie New York, Sydney, Barcelona und Dalian zu Gast und kommt im zwölften Jahr ihres Bestehens erstmals nach Deutschland. 2014 wird der Gastgeber die London School of Economics sein.
Pressekontakt:
Yvonne Hufenbach
Forschungsgruppe wi-mobile
Universität Augsburg
86135 Augsburg
Telefon +49 (179) 6653782
presse@wi-mobile.de
Zur ICMB 2013:
http://www.mbusiness2013.org
http://idw-online.de/de/news534880
Zur Forschungsgruppe wi-mobile der Universität Augsburg:
http://www.wi-mobile.de
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