Risiken eines Schuldenschnitts in Griechenland kaum kalkulierbar

Denn weder lassen sich die potentiellen Ansteckungseffekte genau quantifizieren noch sind die Vorschläge für eine institutionelle Eindämmung dieser Effekte so konkret und aufeinander abgestimmt, dass eine schwere Wirtschaftskrise im Euroraum nach einem Schuldenschnitt ausgeschlossen werden kann.

Darauf weist das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung hin. Die Forscher empfehlen daher, Alternativen ernsthaft zu prüfen. Eine auf Eurobonds gestützte Niedrigzinsstrategie eröffnet nach Analyse der Ökonomen einen risikoärmeren Weg zur Lösung der Euro-Krise.

„Die Debatte um eine Umschuldung Griechenlands hat zwar manche Fortschritte gemacht“, sagt Dr. Torsten Niechoj, IMK-Experte für Internationale Konjunktur und Wirtschaftspolitik. „Auch Befürworter eines Schuldenschnitts thematisieren klar die potentiellen Nebenwirkungen und Ansteckungseffekte.“ Das gelte insbesondere für den neuen Vorschlag des Sachverständigenrates. Die „Wirtschaftsweisen“ diskutierten darin die Risiken für das Bankensystem, insbesondere in Griechenland. Und sie setzten sich auch intensiv mit den Ansteckungsgefahren auseinander, die Staaten wie Irland, Portugal, Spanien und Italien drohen, wenn als Folge einer Umschuldung in Griechenland Misstrauen und Spekulation auf den Finanzmärkten eskalieren, so das IMK. „Die Mitglieder des Sachverständigenrates präsentieren für beide Probleme interessante Lösungsansätze“, sagt Niechoj. „Aber da wir mit einer Umschuldung im Euroraum keinerlei Erfahrung haben und dabei viele Maßnahmen passgenau ineinandergreifen müssten, bleibt ein großes Risiko, dass ein Schuldenschnitt in der Praxis doch nicht funktioniert.“ Zudem seien die Ursachen der aktuellen Krise aus dem Blick geraten, warnen die Forscher. Die Finanzmarktregulierung sei nach wie vor unzureichend, auch die Ungleichgewichte im Euroraum bestünden fort.

Als risikoärmere Alternative zu einem Schuldenschnitt empfiehlt das IMK eine Niedrigzinsstrategie. In deren Zentrum stehen gemeinsame Garantien und die Ausgabe von Eurobonds, die zu einem vergleichsweise niedrigen Zinssatz von rund drei Prozent an die Krisenstaaten weitergegeben werden könnten. „Dieser Ansatz beendet sofort alle Spekulationen auf den Märkten und senkt die Zinslast. Selbstverständlich kann die Ausgabe solcher Eurobonds an Länder wie Griechenland nicht ohne Gegenleistung erfolgen. Im Gegenzug müssen sie Ausgabenpfade einhalten“, erklären die Forscher.

Für den Zeitraum bis 2015 haben das IMK und seine europäischen Partnerinstitute – das OFCE aus Paris und das Wiener WIFO – berechnet, wie sich eine solche Niedrigzinsstrategie auswirken würde. Kernergebnis: Vor allem die Krisenstaaten, aber auch die deutsche Wirtschaft würden stärker wachsen. Das würde es erleichtern, die Schuldenprobleme in den Griff zu bekommen. Die enormen Lasten für den griechischen Staat und letztlich die griechische Bevölkerung würden deutlich gesenkt, so die Forscher. Die Modellrechnung lässt erwarten, dass Griechenland die Abwärtsspirale aus hohen Zinsforderungen, schlechten Ratings und steigender Verschuldung durchbrechen könnte. So würde die Staatsschuldenquote im Niedrigzinsszenario bis 2015 auf rund 110 Prozent der Wirtschaftsleistung zurückgehen – ganz ohne Schuldenschnitt.

Eine Beteiligung privater Finanzmarktakteure könnte durch eine Finanzmarkttransaktionssteuer erreicht werden sowie durch eine wirklich substantielle Bankenabgabe, so das IMK.

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Rainer Jung idw

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