Nicht mehr Billigjobs, sondern mehr Kindergartenplätze helfen gegen die "Dienstleistungslücke"
Institut Arbeit und Technik: geringe Erwerbstätigkeit von Frauen begrenzt das Wachstum sozialer und persönlicher Dienste in Deutschland
Die „Servicewüste Deutschland“ ließe sich beleben, wenn Frauen durch mehr Kinderbetreuung in Krippen, Kindergärten und Horten Beruf und Familie besser vereinbaren könnten. Denn das Wachstum sozialer und persönlicher Dienstleistungen – wie in anderen europäischen Ländern hauptsächlich Frauenarbeit – wird in Deutschland durch die vergleichsweise geringe Frauenerwerbstätigkeit begrenzt. Das zeigen Untersuchungen des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen) zur Beschäftigung und neuen Formen der Arbeitsmarktorganisation im tertiären Sektor.
In überdurchschnittlich vielen Fällen wird Dienstleistungsarbeit hierzulande von Teilzeitkräften verrichtet. „Das wäre nach der Art der Tätigkeiten – z.B. im Einzelhandel oder im Büro – oft gar nicht nötig, wird aber bevorzugt, weil traditionelle Haushaltsstrukturen vorherrschen und das deutsche Schul- und Kindergartensystem es den Müttern schwer macht, Beruf und Familie zu vereinbaren“, so der Arbeitsmarktforscher Prof. Dr. Gerhard Bosch, Vizepräsident des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen). Überdies fördern nationale Besonderheiten wie die „Geringfügige Beschäftigung“ und das Ehegatten-Splitting die marginale Teilzeitarbeit in Mini-Jobs.
Im Unterschied zu vielen anderen Ländern hat Deutschland einen hochproduktiven, aber weniger beschäftigungsintensiven Dienstleistungssektor. Die Dienstleistungen tragen rund zwei Drittel (66,6 Prozent) zur Bruttowertschöpfung bei, beschäftigen aber nur 62,6 Prozent der Erwerbstätigen. Die unternehmensnahen Dienstleistungen entwickelten sich in enger Verknüpfung mit der Industrie, wobei die Firmen uneingeschränkt auf Professionalisierung und Qualität setzten. Dabei zeigt sich, dass Dienstleistungstätigkeiten inzwischen fast die Hälfte (48 Prozent) des produzierenden Gewerbes ausmachen, in den USA sind es nur etwa 37 Prozent. Der Anteil der mit Dienstleistungen Beschäftigten – quer über die Sektoren hinweg – beträgt in Deutschland 75 und in den USA rund 78 Prozent. Die sogenannte „Dienstleistungslücke“ ist also wesentlich geringer als oft vermutet.
Die entscheidende Triebkraft des Wandels zur Dienstleistungswirtschaft ist allerdings nicht die Lohnhöhe, sondern die Entwicklung der Erwerbstätigkeit von Frauen und die Qualität von Dienstleistungen, stellt Bosch fest: „Ob in Zukunft Dienstleistungstätigkeiten zumeist prekäre Jobs sein werden, was im übrigen die Professionalisierung hemmen würde, hängt primär von den Möglichkeiten ab, berufliche und persönliche – insbesondere familiäre – Erfordernisse in Einklang zu bringen“.
Den Schlüssel zur Entwicklung der bezahlter sozialer und persönlicher Dienstleistungen sieht Bosch in der Umwandlung von unbezahlter in bezahlte Arbeit, sozusagen der „Auslagerung“ von Haushaltstätigkeiten infolge steigender Erwerbstätigkeit von Frauen. In Westdeutschland herrscht allerdings in Familien mit Kindern noch das traditionelle Modell des männlichen Alleinverdieners vor, in Ostdeutschland entwickelt sich trotz der moderneren Familienstruktur mit mehr „ausgelagerten“ Diensten der Dienstleistungssektor nur langsam, weil die Kaufkraft geringer und die Arbeitslosigkeit höher als im Westen ist.
Die Beschäftigungsquote der Frauen in der Bundesrepublik liegt – die Arbeitsstunden insgesamt umgerechnet in Vollzeit – bei 43,4 Prozent; gegenüber Dänemark mit 60,3 oder Schweden mit 56,2 also relativ niedrig. „Die Frauenerwerbsquote wird allerdings in den nächsten Jahren weiter steigen, und dies wird eine Triebkraft der Expansion von Dienstleistungen sein“, erwartet Prof. Bosch.
Die kurzen Arbeitszeiten des deutschen Sozialmodells lassen allerdings weiter viel Raum für „kostenlose“ Eigenarbeit und „Do-it-yourself“ in Haus und Garten, anstatt dafür Dienstleister zu bezahlen. Ein so großvolumiger Dienstleistungssektor wie in den USA kann deshalb kaum entstehen. Dort liegt das Arbeitsvolumen pro Person im erwerbsfähigen Alter wegen der längeren Arbeitszeiten und der höheren Erwerbsquote von Frauen um mehr als ein Drittel höher als in Deutschland – aber das bei etwa gleichem Bruttosozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung. Eine Erhöhung der Arbeitszeiten auf das amerikanische Niveau wäre also wenig effektiv – und im Hinblick auf die Lebensqualität auch nicht zu wünschen.
Gerhard Bosch: Die sogenannte Dienstleistungslücke in Deutschland – Ein Vergleich von Konzepten für mehr Beschäftigung und neue Formen der Arbeitsmarktorganisation im tertiären Sektor, Graue Reihe des IAT 2002-01,PDF-Datei im Internet
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