Innovationsfaktor Mitbestimmung?
Anfang des Jahres plädierte Bundespräsident Horst Köhler für eine angemessene Beteiligung der Beschäftigten am Unternehmenserfolg. Wie diese Beteiligung aussehen könnte, darüber streiten sich die Gelehrten jedoch seit vielen Jahren.
Mindestens ebenso strittig ist, wie die Mitbestimmung der Beschäftigten in einer sich rasant verändernden Arbeitswelt aussehen könnte. Dabei haben sich gerade in Ostdeutschland im Zuge des wirtschaftlichen Transformationsprozesses seit der Wende zahlreiche Formen der Mitbestimmung und Mitarbeiterbeteiligung entwickelt, die richtungsweisend für die gesamte deutsche Wirtschaft sein könnten. Damit beschäftigt sich am 6. und 7. Juli in Jena die Konferenz „Mitbestimmte Unternehmenskultur – Hemmschuh oder Innovationsfaktor?“, die vom Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena ausgerichtet wird.
„In den Betrieben, in denen die Mitbestimmung etabliert ist, gibt es insgesamt gute Erfahrungen“, sagt Prof. Dr. Klaus Dörre, Jenaer Lehrstuhlinhaber für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie. Betriebsräte spielten seit Jahren eine wichtige Rolle bei den Umstrukturierungen und beim Erhalt von Arbeitsplätzen. Sie seien es, die häufig dafür sorgten, dass Konflikte in den Betrieben pragmatisch bewältigt werden.
Allerdings hat sich nach Einschätzung von Prof. Dörre in vielen kleineren Betrieben nur selten eine formalisierte Mitbestimmung entfalten können. „Da unterscheidet sich der Osten nicht so sehr vom Westen.“ In kleinen Betrieben werde vieles informell geregelt.
„Gerade in Betrieben, in denen es um die nackte Existenz geht, finden wir teilweise Beteiligungsprozesse besonderer Qualität“, sagt Prof. Dörre. Als Beispiel nennt der Soziologe einen der ältesten Werkzeugmaschinenbauer Deutschlands, die Chemnitzer Union. Dieses Unternehmen habe nur als Mitarbeitergesellschaft überleben können. „Dieser Ansatz ist sicher nicht beliebig kopierbar. Aber Elemente davon lassen sich sicher übernehmen“, meint der Jenaer Wissenschaftler.
In vielen Betrieben würden so genannte Bündnisse für Arbeit geschlossen. Die Belegschaften übten Verzicht bei Löhnen, stimmten längeren Arbeitszeiten zu und erhielten dafür häufig nicht mehr als eine vage Beschäftigungsgarantie. „Hier wäre mehr drin, etwa verbindliche Investitionszusagen des jeweiligen Unternehmens oder Weiterbildungsvereinbarungen“, sagt Prof. Dörre. Um das zu regeln, brauche es belastbare Mitbestimmungsstrukturen, die mit neuen Ansätzen, etwa Innovationstarifverträgen, verzahnt werden könnten.
Für notwendig erachtet Dörre auch Veränderungen bei den Tarifvertragssystemen. „Wir können nicht übersehen, dass sich das deutsche Tarifsystem gegenwärtig an einer Wegscheide befindet“, sagt der Wissenschaftler von der Universität Jena. „Die Zeiten, in denen der Flächentarif Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen und Löhne in nahezu allen Branchen verbindlich regelte, sind vorbei.“ Dennoch stellten Tarifvereinbarungen nach wie vor wichtige Normen dar. Selbst in tariffreien Zonen seien sie ein Maßstab, an dem man sich zumindest informell orientiere. Würde das Tarifsystem ganz wegbrechen, könnte dies zu erheblichen Belastungen für eher konsensorientierte Unternehmenskulturen führen. Konflikte um Löhne und Arbeitszeiten würden dann unmittelbar im Betrieb wirksam.
Nach Einschätzung von Prof. Dörre steckt „die materielle Mitarbeiterbeteiligung in Deutschland noch in den Kinderschuhen und wird nicht zuletzt in den Gewerkschaften sehr kontrovers diskutiert“. Es könne aus Mitarbeitersicht nicht einseitig um eine Verschiebung der Risiken auf die Beschäftigten gehen. Zudem gebe es noch eine immaterielle Form der Mitarbeiterbeteiligung. Sie beziehe sich auf die klassische Mitbestimmung ebenso wie auf erweiterte Formen (freiwilliger) Partizipation. Bei großen Unternehmen gehe es sehr häufig auch um die Unternehmensmitbestimmung, bei der die Mitarbeiter über ihre gewählten Repräsentanten auch auf strategische Unternehmensentscheidungen Einfluss nehmen können. „Insgesamt sind die Vorbehalte gegen den Einfluss auf strategische Entscheidungen durch Mitarbeiter auf Seiten der Unternehmensleitung aber nach wie vor sehr groß“, sagt Prof. Dörre.
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Dr. Rainer Benthin
Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
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