Elektroverguss in einem Schuss

Elektrische Schaltkreise müssen vor vielfältigen Einflüssen geschützt werden: Vor Feuchtigkeit, vor Stößen und vor Kontakt mit leitfähigen Objekten, zu denen durchaus auch die Hand eines Unvorsichtigen gehören kann. Bislang erfüllten diese Aufgaben meist mehrschalige Kunststoffgehäuse, die bei Bedarf nachträglich mit einem Epoxidharz ausgegossen wurden. Gießfähige Polyurethane machen den Epoxiden auf diesem Gebiet in puncto Verarbeitbarkeit und Wirtschaftlichkeit Konkurrenz; neue PUR-RIM-Systeme, wie die Leverkusener Bayer AG sie auf der diesjährigen K-Messe vorstellt, könnten dem Polyurethan-Elektroverguss sogar ganz neue Perspektiven eröffnen: Sie ermöglichen in einem einzigen Arbeitsgang das Kunststoffgehäuse und den schützenden Verguss zu einer Einheit im RIM-Verfahren herzustellen. Also ein Material für alles, in einem Schuss.

Schlüssel des neuen Verfahrens ist ein neues Injektionsmischkopfkonzept, das Bayer-Ingenieure in Zusammenarbeit mit ihren Kollegen von der Bayer-Technologie-Tochter Hennecke, Sankt Augustin, entwickelt haben. Mit Hilfe dieses Mischkopfs ist es erstmals möglich, die für den Elektroverguss nötigen, mit speziellen wärmeleitfähigen Füllstoffen versehenen PUR-Systeme in den für den Gehäuseverguss erforderlichen kleinen Mengen in Formen zu applizieren – noch schneller, als es bei der ohnehin schon vergleichsweise schnellen PUR-Gießtechnik möglich war. Die Möglichkeiten des PUR-RIM-Verfahrens – hohe Designfreiheit, niedrige Reaktionstemperaturen, kurze Zykluszeiten, hohe Beständigkeit der Polyurethane gegenüber einer Vielzahl von Umgebungsparametern – bleiben dabei in vollem Umfang erhalten.

„Konkret bedeutet das, dass wir nun lediglich Platinen mit den elektronischen Bauteilen in Mehrfachwerkzeuge einlegen müssen, wo sie dann vom Polyurethan umhüllt werden,“ sagt Friedhelm Fähling, Bayer-Experte für den PUR-Elektroverguss. „Dabei entstehen das Gehäuse und die absolut wasserdichte, schützende Isolierung der Elektronik in einem Schritt.“ Im Vergleich zum bisherigen Verfahren – Spritzgießen der Gehäuseteile aus einem Thermoplasten, Einlegen der Platine, manuelles Schließen der Gehäusehalbschalen, Verguss der Elektronik – stellt dies eine erhebliche Arbeitserleichterung dar. Dabei ist das umgossene Bauteil durch die maßgeschneiderte Reaktivität der Polyurethankomponenten in einem Bruchteil der Zeit fertig, die für den konventionellen Thermoplast-Weg benötigt wurde; vor allem die langen Abkühl- oder Aushärtungszeiten in speziellen Öfen fallen ganz weg.

„Bei Stückzahlen im Bereich von einigen Millionen machen sich derart drastische Verkürzungen der Zykluszeit natürlich schnell bezahlt,“ so Fähling, „ganz abgesehen von den Vorteilen, die Polyurethane den Kunden darüber hinaus bringen.“ So wird die empfindliche Schaltung durch die niedrigen Schusstemperaturen – durchweg < 100 °C – thermisch viel weniger beansprucht als beim Verguss durch Epoxidharze; darüber hinaus weisen Polyurethane eine geringe Volumenschwindung auf, führen die bei der Arbeit der Schaltungen entstehende Wärme ab und zeigen ein vorteilhaftes Temperaturwechselverhalten. Außerdem lassen sich ihre Dichte und Härte gezielt einstellen. Damit sind Umhüllungen sehr unterschiedlicher Konsistenz realisierbar – von massiv bis zellig und von hart bis weich. Die neue Technik eignet sich aber nicht nur zur Produktion ganzer geschützter Gehäuse – auch Hersteller elektronischer Bauteile, wie zum Beispiel von Kondensatoren oder Transformatoren, können davon profitieren. Bisher wurden diese Bauteile in kleine Becher aus thermoplastischen Kunststoffen gelegt und von Epoxidharz umgossen. „Aber auch hier bestehen sowohl das Gehäuse als auch die Vergussmasse letztlich aus Kunststoff. Warum sollte man da zwei verschiedene nehmen, wenn Polyurethane den Epoxidharzen in ihrem mechanischen und elektrischen Verhalten zumindest ebenbürtig und obendrein deutlich wirtschaftlicher zu verarbeiten sind?“ fragt Fähling.

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