Neuer DFG-Schwerpunkt untersucht Bedeutung der Neuroglia

Lange hielt man Neuroglia lediglich für eine Art Kitt, der den Extrazellularraum im Gehirn ausfüllt und die Nervenzellen stabilisiert. Doch neueren Untersuchungsergebnissen zu Folge könnten die Gliazellen (im Griechischen heißt Glia Kitt oder Leim) auch eine wichtige Rolle bei der Informationsverarbeitung spielen. In einem neuen Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), das Wissenschaftler aus Bonn, Kaiserslautern und Frankfurt beantragt hatten, wollen Hirnforscher verschiedener Arbeitsgruppen untersuchen, welche Mechanismen den Dialog zwischen Nerven- und Gliazellen vermitteln. Die Förderung des neuen Programms beginnt Anfang 2004; die Laufzeit beträgt sechs Jahre.

Beim Menschen sind Gliazellen gegenüber den Nervenzellen, den so genannten Neuronen, weit in der Überzahl: Fast 90% aller Gehirnzellen zählen zu einem der drei Glia-Zelltypen (Astrozyten, Oligodendrozyten, Mikrogliazellen). Dennoch sahen Hirnforscher die Gliazellen lange Zeit lediglich als „Ammen“ an, die die eigentlichen Leistungsträger bei der Informationsverarbeitung, die Neuronen, stützen und ernähren – ein Paradigma, das in den letzten Jahren zu kippen scheint.

Denn insbesondere an den chemischen Synapsen der Nervenzellen spielt der lange unterschätze Nervenkitt eine wichtige aktive Rolle. Dort wird die Information von einer Nervenzelle auf eine andere Nervenzelle übertragen. Die Zellen sind jedoch durch einen dünnen Spalt voneinander getrennt; daher können die elektrischen Impulse nicht direkt weitergeleitet werden. Stattdessen schüttet die erste Zelle verschiedene Botenstoffe, so genannte Transmitter, aus, die in der zweiten Zelle wiederum elektrische Impulse auslösen. Hier kommen die Gliazellen ins Spiel: Sie entfernen bestimmte Botenstoffe aus dem synaptischen Spalt und tragen so dazu bei, dass die Informationsübertragung auf die zweite Nervenzelle moduliert wird. Weiterhin wurde inzwischen nachgewiesen, dass auch Gliazellen Botenstoffe ausschütten, die die Aktivität der Neuronen direkt beeinflussen.

Möglicherweise treten einige Gliazelltypen sogar mit den Neuronen in direkten synaptischen Kontakt und beteiligen sich damit an der Reizweiterleitung. Tatsächlich weiß man inzwischen, dass Gliazellen (insbesondere Astrozyten) über ein ähnliches Repertoire an Transmitterrezeptoren und Ionenkänalen verfügen wie Neuronen. Die Bonner Wissenschaftler um Professor Dr. Christian Steinhäuser konnten zudem unlängst einen bislang unbekannten Zelltyp im Gehirn identifizieren, der eine Art „Zwitterstellung“ zwischen Nerven- und Gliazellen einzunehmen scheint (’Astron’; Journal of Neuroscience 23:1750-58, 2003). Professor Steinhäuser: „Die neuen Erkenntnisse macht es erforderlich, den Beitrag der Gliazellen zur Informationsverarbeitung im Gehirn künftig stärker zu berücksichtigen.“

Ansprechpartner:

Professor Dr. Christian Steinhäuser
Arbeitsgruppe Experimentelle Neurobiologie
Klinik für Neurochirurgie der Universität Bonn
Telefon: 0228 – 287-9028 oder -4669
E-Mail: christian.steinhaeuser@ukb.uni-bonn.de

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Frank Luerweg idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-bonn.de

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