Chirurgenkongress 2012: Chirurgen diskutieren über den ökonomischen Druck in Kliniken

Um wirtschaftlich arbeiten zu können, sehen sich medizinische Einrichtungen gezwungen, ihre Patientenzahl zu steigern, bemängelt ein Experte der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH).

Die Folge: Im Jahr 2010 wurden laut Gesundheitsberichterstattung des Bundes über 1,2 Millionen Bundesbürger mehr in Kliniken behandelt als zehn Jahre zuvor. Ob dies am demographischen Wandel oder am wirtschaftlichen Druck im Krankenhaus liegt, ist nicht immer klar.

Wie Krankenhäusern der Spagat zwischen verantwortungsvoller, ethischer Patientenversorgung und wirtschaftlichem Anspruch gelingt und was Chirurgen künftig dazu beisteuern können, diskutieren Experten vom 24. bis 27. April 2012 auf dem 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) im ICC Berlin.

Seit Einführung des Fallpauschalensystems im Jahr 2004 vergüten die Krankenkassen die Arbeit der deutschen Krankenhäuser nach einem Diagnose bezogenen pauschalierten Festkostensystem: Jede Diagnose hat ihren festen Preis, der unabhängig vom tatsächlichen individuellen Krankheits- oder Genesungsverlauf des Patienten berechnet wird. Verweilt der Patient aufgrund unvorhergesehener Komplikationen länger als erwartet im Krankenbett, erhalten die Kliniken hierfür keine entsprechende Entschädigung. Daraus entstehen in vielen Kliniken Finanzlücken, die den Druck erhöhen. Gleichzeitig kam es in den letzten Jahren auch an vielen Kliniken zu einer Ausdehnung der Fallzahlen. „Es ist fraglich, ob dieser Fallzahlsteigerung tatsächlich immer gerechtfertigte medizinische Indikationen zugrunde liegen oder aufgrund des starken finanziellen Drucks auf die Häuser aus finanziellem Interesse entschieden wurde“, hinterfragt Professor Dr. med. Joachim Jähne, Vizepräsident der DGCH im Vorfeld des Chirurgenkongresses in Berlin diese Entwicklung. Zudem seien heutige Ärzteverträge im Krankenhaus häufig mit Bonuszahlungen bei Fallzahlsteigerungen verbunden.

Neben einer wachsenden Patientenzahl spielt auch die Wahl der Operationstechnik eine entscheidende finanzielle Rolle für das Krankenhaus: „Patienten werden mitunter mit modernen Methoden operiert, die zwar nicht immer effektiver als herkömmliche Lösungen, jedoch oft finanziell wesentlich ertragreicher sind“, erläutert Jähne, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Diakoniekrankenhauses Henriettenstiftung in Hannover. Leistenbruch-Operationen oder Gelenkspiegelungen, die sogenannte Arthroskopie, wären mitunter verzichtbar. „Durch finanzielle Zwänge werden die verantwortlichen Chirurgen in der Wahl der Behandlungsmethoden unfreier“, sagt Jähne. Denn sie seien immer häufiger den monetären Entscheidungen ihres Arbeitgebers unterworfen, anstatt die Bedürfnisse der Patienten angemessen berücksichtigen zu können.

In dieser Entwicklung sieht die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie einen Interessenkonflikt zwischen Krankenhäusern und Ärzten. „Als Ärzte unterliegen wir dem ärztlichen Ethos. Eine Entscheidung zur Durchführung einer Operation und Wahl des OP-Verfahrens sollten ausschließlich medizinische Gründe, keinesfalls aber finanziellen Intentionen zugrunde liegen“, betont Professor Dr. med. Markus W. Büchler, Präsident der DGCH. Gleichzeitig sei der finanzielle Druck der Kliniken durchaus nachzuvollziehen. Dennoch könne dieser nicht durch etwa Vergütungsanreize, die dem Patienteninteresse widersprechen, an die Ärzte weitergegeben werden. Neben einem kaufmännischen Leiter sollte zudem laut Büchler immer auch ein Arzt ein Krankenhaus leiten, der die Patientensicht vertritt.
Auf dem 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie vom 24. bis 27. April 2012 in Berlin diskutieren Chirurgen, wie sie dem ökonomischen Druck begegnen können, ohne die ethischen Anforderungen ihres Berufsbildes zu vernachlässigen. Der Thementag „Organisation und Management“ am 27. April fokussiert darüber hinaus Fehlervermeidung und Prozessoptimierung als einen wichtigen Ansatz, Ressourcen effektiv zu nutzen und die Versorgungsqualität zu erhöhen. Professor Jähne erläutert auf einer Pressekonferenz am 27. April 2012 die Auswirkungen des ökonomischen Drucks in der Chirurgie.

Literaturhinweis:
T. Nölling 2012: Zielvereinbarungen in Chefarztdienstverträgen, in: Mitteilungen der DGCH, 2/2012, http://www.dgch.de

Terminhinweise:
Kongress-Pressekonferenz: Organisation und Management
Termin: Freitag, 27. April 2012, 11.30 bis 12.30 Uhr
Ort: Raum 42, ICC – Internationales Congress Centrum Berlin, Messegelände – Eingang: Kleiner Stern
Eines der Themen: Ökonomischer Druck in der Chirurgie: Wird vor allem zum Wohle des Krankenhauses operiert? (Prof. Jähne)

129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), 24. bis 27. April 2012, ICC Berlin
http://www.chirurgie2012.de

Kongresssitzungen:
Symposium: Ökonomisierung von Kliniken
Termin: 27. April 012, 16.30 bis 17.30 Uhr, Seminarraum 44, ICC Berlin

Thementage
• Forschung und Studien
Dienstag, 24. April 2012, 16.30 bis 17.30 Uhr, ICC-Lounge, ICC Berlin
• Chirurgie in Partnerschaft
Mittwoch, 25. April 2012, 8.30 bis 10.00 Uhr, ICC-Lounge, ICC Berlin
• Perioperative und Intensivmedizin
Donnerstag, 26. April 2012, 8.30 bis 10.00 Uhr, Saal 7, ICC Berlin
• Organisation und Management
Freitag, 27. April 2012, 8.30 bis 10.00 Uhr, Saal 7, ICC Berlin

Kontakt für Journalisten:

Christine Schoner/Christina Seddig
Pressestelle Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH)
Pf 30 11 20
70451 Stuttgart
Tel: 0711 8931-573
Fax: 0711 8931-167
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