Deutsch-britisches Austauschprogramm auf dem Gebiet der sozialpolitischen Forschung

VolkswagenStiftung richtet deutsch-britisches Austauschprogramm auf dem Gebiet der sozialpolitischen Forschung ein. Trägerorganisationen sind die London School of Economics, das Wissenschaftszentrum Berlin und das Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen.

Auf europäischer Ebene voneinander lernen – so könnte das übergeordnete Ziel lauten, das die VolkswagenStiftung mit einem neuen Austauschprogramm für Wissenschaftler und Praktiker auf dem Gebiet der sozialpolitischen Forschung verfolgt. Das jetzt ausgeschriebene und auf die Länder Großbritannien und Deutschland fokussierte „TH Marshall Fellowship Programme in European Social Policy“ soll der erste Faden eines gesamteuropäischen Netzwerks in diesem Bereich sein.

Konkret sieht es vor, dass sich in den kommenden drei Jahren jeweils sechs Personen aus Großbritannien und Deutschland mit einer sozialpolitischen Fragestellung ihrer Wahl als Gast an einer Einrichtung des anderen Landes aufhalten – mindestens drei, maximal zwölf Monate lang. In vergleichender und europäischer Perspektive sollen auf diesem Weg britische und deutsche Praktiker und Theoretiker der Sozialpolitik länderübergreifend voneinander lernen und so die mit Blick auf die Politik der sozialen Regulierung bestehenden herkömmlichen Barrieren zwischen Praxis und Theorie überwinden. „Zeitgleich erhalten die beteiligten Personen in der ersten Hälfte ihrer Karriere damit die Gelegenheit, ein bestimmtes Politikfeld vertiefend zu bearbeiten und ein kollegiales Netzwerk über Grenzen hinweg zu knüpfen“, betont Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung.

Wer soll sich angesprochen fühlen? Zielgruppe für die Bewerbung um ein „TH Marshall Fellowship“ in Großbritannien und Deutschland sind zum einen – in der Regel promovierte – Forscher (bis hin zum Professor). Desgleichen entsprechend qualifizierte Praktiker, insbesondere Angehörige des öffentlichen Dienstes, die in der ersten Hälfte ihrer Karriere stehen. Die Fellows sollen vergleichende und/oder supranationale Aspekte der Sozial- und Gesellschaftspolitik – einschließlich der Schnittstellen mit der Bildungs-, Finanz- und Wirtschaftspolitik – wissenschaftlich bearbeiten und sich zugleich mit der jeweiligen Praxis des anderen Landes vertraut machen.

Wo kann man sich bewerben? Zu den das Fellowship-Programm tragenden Personen und Einrichtungen zählen Professor Dr. Dr. h. c. mult. Jürgen Kocka vom Wissenschaftszentrum Berlin (Kontakt WZB siehe rechts) und Professor Dr. Stephan Leibfried vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen – sowie Professor Dr. Anthony Giddens von der London School of Economics. Diese Institutionen nehmen auch die Auswahl der Bewerber vor. Die aus Großbritannien stammenden Fellows werden dann bei ihrem Aufenthalt in Deutschland von Berlin oder Bremen aus betreut, jene aus Deutschland kommenden in Großbritannien von der London School of Economics.

Der explizit britisch-deutsche Vergleich ist dadurch motiviert, dass grundsätzlich derzeit die einzelnen Mitgliedstaaten bei ihren Bemühungen um sozialpolitische Reformen auf die Erfahrungen anderer EU-Mitglieder blicken. Damit entsteht ein Wettbewerb zwischen unterschiedlichen politisch-ökonomischen Modellen der Wohlfahrtsstaatlichkeit, die ihrerseits alle in verschiedener Weise von der Europäisierung und Internationalisierung betroffen sind. Im Spektrum dieser Regime gelten Deutschland und Großbritannien als „polare Typen“.

So steht Deutschland beispielhaft für eine „koordinierte Marktwirtschaft“, in der sich auf unterschiedlichen Ebenen nicht-marktliche Koordinationsmechanismen durchsetzen, die durch starke Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände aufrechterhalten werden. Hingegen ist in „unkoordinierten Marktwirtschaften“ – hier gilt Großbritannien als Musterbeispiel – die Kooperation zwischen Unternehmen sowie organisierten Wirtschaftsinteressen und Gewerkschaften nur schwach entwickelt. Im Vergleich mit Deutschland sorgen dabei die vorherrschenden Steuerungsmechanismen des Marktes für eine größere Flexibilität, aber auch für eine geringere Absicherung gegen Risiken – und sie bieten geringere Anreize für langfristige Strategien, Qualitätsprodukte herzustellen.

Das Programm ist benannt nach Thomas Humphrey Marshall (1893 bis 1982), einem der führenden Theoretiker des Wohlfahrtsstaates in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie kaum ein anderer verkörpert er in seiner Person und in seinem Werk den doppelten Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis der Sozialpolitik und zwischen Großbritannien und Deutschland. 1914 kam er als Student der Geschichte nach Weimar, wurde während des Ersten Weltkriegs aber vier Jahre lang in Ruhleben bei Berlin interniert. Danach entdeckte er das Feld der Soziologie für sich. Nach der Promotion in Cambridge arbeitete Marshall bis 1956 an der London School of Economics, zunächst im Department of Social Policy and Social Administration. 1944 erhielt er im dortigen Department of Sociology den seinerzeit in Großbritannien einzigen Lehrstuhl für Soziologie. Nachdem Marshall 1947/48 im Auftrag der englischen Vereinigung für Universitätslehrer deutsche Universitäten besucht hatte, war er 1949/50 in der britischen Kontrollkommission für Deutschland für das Bildungswesen zuständig. Von 1956 bis 1960 leitete er die sozialwissenschaftliche Abteilung der UNESCO in Paris. Marshall zeichnete mit seinem unvoreingenommenen, keiner Schule verpflichteten Werk viele der heutigen Probleme des Sozialstaats frühzeitig vor.

Kontakt

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
TH Marshall Fellowship, Presse- und Informationsreferat
Burckhard Wiebe, Reichpietschufer 50, 10785 Berlin
Telefon: 030-2549-1513, E-Mail: presse@wz-berlin.de

VolkswagenStiftung, Initiative Brückenprogramm
Dr. Alfred Schmidt, Telefon: 0511 – 8381-237
E-Mail: schmidt@volkswagenstiftung.de

Media Contact

Dr. Christian Jung idw

Weitere Informationen:

http://www.volkswagenstiftung.de

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