Steuersenkungen: Allein in Rheinland-Pfalz 1,4 Milliarden Euro Mindereinnahmen im vergangenen Jahr

Umfangreiche Steuersenkungen während der vergangenen 15 Jahre haben die Finanzbasis der öffentlichen Hand in Deutschland deutlich geschwächt. Bund, Länder und Gemeinden würden 2013 rund 45 Milliarden Euro mehr einnehmen, wenn noch die Steuergesetze von 1998 in Kraft wären.

Gut zwei Drittel dieser Einnahmeausfälle entfallen auf die Bundesländer und die Kommunen, hat das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung errechnet. Deren finanzieller Spielraum, beispielsweise für Investitionen in Infrastruktur und Bildung, wird durch die strengen Vorschriften der Schuldenbremse zusätzlich stark eingeschränkt. Dabei sind die öffentlichen Nettoinvestitionen bereits seit rund einem Jahrzehnt negativ – der Staat zehrt seine Substanz auf.

Am Beispiel des Landes Rheinland-Pfalz hat die IMK-Steuerexpertin Dr. Katja Rietzler in einer neuen Studie die konkreten Folgen für die Länderfinanzen und die Einnahme-Effekte eines Gegensteuerns durch Steuererhöhungen auf hohe Einkommen und große Vermögen untersucht. Kernergebnisse: Als Folge der Steuersenkungen seit 1998 nehmen das Land Rheinland-Pfalz und seine Kommunen allein im Jahr 2013 knapp 1,4 Milliarden Euro weniger ein. Durch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer, eine Reform der Erbschaftsteuer und die Wiedereinführung der Vermögensteuer ließen sich für das Land und Gemeinden Mehreinnahmen von jährlich 893 Millionen Euro erzielen. Das würde die strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte zwischen Koblenz und Ludwigshafen erheblich reduzieren. Die Studie im Auftrag des DGB Rheinland-Pfalz wird heute auf einer Pressekonferenz in Mainz vorgestellt.*

– Moderate Ausgabenentwicklung, Einbußen bei Einnahmen –
Die öffentlichen Ausgaben haben sich zwar in den vergangenen zwei Jahrzehnten nur sehr moderat entwickelt. Trotzdem bleiben die öffentlichen Haushalte strukturell im Minus – so charakterisiert das Gutachten die Situation in Rheinland-Pfalz. Zwischen 1992 und 2010 nahmen die Ausgaben des Landes und der Kommunen nominal, also vor Abzug der Inflation, pro Jahr um durchschnittlich 2,0 Prozent zu. Und dieser Wert ist noch etwas überzeichnet durch zeitlich begrenzte Investitionen im Rahmen des Konjunkturpakets I. Betrachtet man daher nur den Zeitraum vor der Finanz- und Wirtschaftskrise, also zwischen 1992 und 2008, wuchsen die Ausgaben im Jahresmittel um nominal 1,8 Prozent. Damit stiegen sie nicht schneller als das regionale Bruttoinlandsprodukt (BIP), das von 1992 bis 2010 um durchschnittlich 2,0 Prozent pro Jahr zunahm. „Bei diesen Zahlen deutet nichts auf ein übertriebenes Ausgabenwachstum hin“, sagt Wirtschaftsforscherin Rietzler.

Dass die öffentlichen Haushalte gleichwohl selbst in Jahren mit guter Wirtschaftsentwicklung nicht ausgeglichen waren, führt die Wissenschaftlerin daher primär auf ein Einnahmeproblem zurück. Es beruht einerseits auf einem relativen Rückstand der regionalen Wirtschaft: Trotz erheblicher Fortschritte in den vergangenen zwei Jahrzehnten liegt in dem in weiten Teilen ländlich geprägten Bundesland das BIP pro Einwohner unter dem Bundesdurchschnitt. Auch die Steuereinnahmen und die Finanzkraft der öffentlichen Hand sind unterdurchschnittlich: Die Finanzkraft von Land und Kommunen pro Einwohner beträgt vor dem Länderfinanzausgleich rund 94 Prozent des bundesweiten Mittels. Der Länderfinanzausgleich hebt diesen Rückstand nicht auf: Zwar war Rheinland-Pfalz 2012 Nettoempfänger. Da ostdeutsche Länder und die Stadtstaaten aber weitaus höhere Zahlungen bekamen, lag die relative Finanzkraft nach Finanzausgleich im Ländervergleich sogar etwas niedriger als davor.

Als zweite Ursache für das Minus in den öffentlichen Kassen identifiziert die Forscherin die strukturellen Mindereinnahmen infolge der Steuersenkungen der letzten anderthalb Jahrzehnte. Das lässt sich daran ablesen, dass die Steuereinnahmen hinter dem Wachstum des regionalen BIPs zurückgeblieben sind. Würden die Steuergesetze von 1998 noch gelten, würde das Land Rheinland-Pfalz allein in diesem Jahr 862 Millionen Euro mehr einnehmen als tatsächlich der Fall ist. Das entspricht ungefähr dem strukturellen Defizit von rund 819 Millionen Euro im Landeshaushalt 2012. Die Kommunen müssen allein 2013 aufgrund der Steuerrechtsänderungen auf weitere 518 Millionen Euro verzichten.

Unter diesen Umständen ist IMK-Expertin Rietzler skeptisch, dass das Land auf Dauer den durch die Schuldenbremse vorgegebenen Konsolidierungspfad einhalten kann. So wüchsen die Steuereinnahmen derzeit deutlich schwächer als im Jahr 2012, in dem Rheinland-Pfalz dank sehr guter Einnahmeentwicklung und niedriger Zinsen das Etappenziel der Schuldenbremse erheblich unterschreiten konnte. „Wenn die Rahmenbedingungen nicht optimal sind, muss sich die Politik sehr schnell mit zusätzlichen Einsparungen auseinandersetzen“, sagt Rietzler. „Das kann schnell auf Kosten der Investitionen gehen – obwohl dort erheblicher Nachholbedarf besteht und Defizite bei Infrastruktur oder Bildungseinrichtungen die Wirtschaft nachhaltig schädigen.“

– Steuererhöhungen für Wohlhabende reduzieren Defizit –
Als bessere Alternative empfiehlt die Ökonomin daher Steuererhöhungen. Diese sollten gezielt höhere Einkommen und große Vermögen belasten. Auf diese Weise gewinne der Staat nicht nur finanziellen Spielraum zurück, ohne die Wirtschaftsentwicklung relevant zu belasten. Zusätzlich lasse sich die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen etwas korrigieren, die in den beiden vergangenen Jahrzehnten deutlich zugenommen hat: Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) besitzen in Deutschland allein die Angehörigen des reichsten Tausendstels der Bevölkerung gut 22 Prozent des gesamten Nettovermögens. Das reichste Hundertstel verfügt über knapp 36 Prozent, das reichste Zehntel über gut 66 Prozent. Dagegen hat die ärmere Hälfte der Bevölkerung lediglich einen Anteil von 1,4 Prozent.

Forscherin Rietzler hat die Auswirkungen von drei Modellen zur Steuerreform für das Land Rheinland-Pfalz berechnet:

– Anhebung des Spitzensteuersatzes nach den verschiedenen Vorschlägen der Bundestags-Oppositionsparteien: Betroffen sind höhere Bruttoeinkommen von jährlich mehr als 66.500 Euro bei Alleinstehenden (Vorschlag der Grünen) bzw. 74.500 Euro (SPD) oder 77.600 Euro (die Linke).

– Wiedererhebung einer Vermögensteuer nach einem am DIW entwickelten Konzept. Belastet werden Vermögen von mehr als zwei Millionen Euro bzw. vier Millionen bei gemeinsam veranlagten Ehepartnern. Der jährliche Steuersatz liegt bei einem Prozent.

– Erhöhung der Erbschaftsteuer mit dem Ziel, den bislang relativ geringen Ertrag dieser Steuerart (4,3 Milliarden Euro 2012) zu verdoppeln.

Am Beispiel von Rheinland-Pfalz zeigen Rietzlers Berechnungen, dass vor allem eine Vermögensteuer die Einnahmesituation der öffentlichen Hand in den Bundesländern deutlich verbessern würde: Das Land Rheinland-Pfalz könnte dadurch mit jährlichen Mehreinnahmen von 511 Millionen Euro rechnen, die Gemeinden würden zusätzlich 66 Millionen Euro erzielen.

Die Anhebung des Spitzensteuersatzes nach den Vorschlägen von Grünen oder SPD würde Land und Kommunen zusammen weitere 112 bis 119 Millionen Euro an Einnahmen einbringen. Dagegen würde der Vorschlag der Linken zu Einnahmeausfällen führen, weil zugleich der Grundfreibetrag erheblich angehoben würde.

Eine Verdoppelung der Einnahmen aus der Erbschaftsteuer brächte Land und Kommunen Mehreinnahmen von 197 Millionen Euro ein.

„Unter dem Strich könnten das Land Rheinland-Pfalz und seine Kommunen durch eine Kombination der Steuererhöhungen Mehreinnahmen von 893 Millionen Euro erzielen. Davon entfallen knapp 764 Millionen auf das Land. Damit ließe sich das strukturelle Defizit im Landeshaushalt weitgehend schließen“, erklärt Expertin Rietzler. Dabei bliebe die Steuerbelastung noch deutlich unter dem Tarif, der 1998 galt.

*Katja Rietzler: Öffentliche Einnahmen des Landes Rheinland-Pfalz. Entwicklung, Struktur und Optionen für eine Aufkommenserhöhung.

Kurzstudie im Auftrag des DGB Rheinland-Pfalz.
Download: http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_pb_3_2013.pdf
Die Studie wird vom DGB-Rheinland-Pfalz auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Auf dem Podium: Dietmar Muscheid, Vorsitzender des DGB-Bezirks West, Dr. Carsten Kühl, Finanzminister des Landes Rheinland-Pfalz und Dr. Katja Rietzler, IMK. Mehr Informationen und Statements: http://west.dgb.de

Mehr Studien zu den Themen Einkommensmobilität, Lohnentwicklung und Verteilung finden Sie hier: http://boeckler.de/42759_42781.htm und hier: http://boeckler.de/43581.htm

Kontakt in der Hans-Böckler-Stiftung

Dr. Katja Rietzler
IMK, Expertin für Steuer- und Finanzpolitik
Tel.: 0211-7778-576
E-Mail: Katja-Rietzler@boeckler.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de

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