Ein Blick hinter den Kulissen bei der Entstehung protostellarer Scheiben

Dieses Bild zeigt die protoplanetare Scheibe um den jungen Stern HL Tauri mit Substrukturen innerhalb der Scheibe, die noch nie zuvor gesehen wurden. Diese zeigen selbst die mögliche Position von Planeten, die sich in den dunklen Stellen des Systems bilden. Credit: ALMA (ESO/NAOJ/NRAO)

Obwohl rotationsgestützte Scheiben um junge Sterne häufig beobachtet werden, war es für theoretische Studien bisher schwer, derartige Scheiben nachzubilden. Das Hauptproblem ist dabei das Magnetfeld der interstellaren Materie, das zur so genannten „magnetischen Bremskatastrophe“ führt und zwar schon für mittlere Magnetfeldstärken.

Bei Modellen mit idealer Magnetohydrodynamik (MHD) wird das Gas in das Magnetfeld „eingefroren“ und die Feldlinien werden durch das kollabierende Gas in Richtung Mitte gezogen, so dass das Magnetfeld die Form einer Sanduhr erhält. Die stark zusammengepressten Feldlinien verbinden Materialien aus der unmittelbaren Nähe des Sterns mit Material viel weiter außen und übertragen Drehimpuls vom Zentrum weg.

Selbst in nicht-idealen MHD-Modellen, bei denen neutrale Materie relativ zum Magnetfeld wandern kann, bleibt die Entstehung von rotationsgestützten Scheiben schwierig, wenn Standard-Chemie zur Beschreibung der Ionisierung bei der Berechnung der nicht-idealen MHD-Effekte verwendet wird.

„Das Problem sind winzige Staubkörner; wenn sie nicht da sind, erhalten wir eine rotationsgestützte Scheibe“, sagt Bo Zhao, Hauptautor der Studie, die jetzt in MNRAS veröffentlicht wurde.

„Diese winzigen Körner, die leicht durch die Absorption von Ionen und Elektronen elektrisch aufgeladen werden können, koppeln effektiv sowohl mit dem Magnetfeld als auch in Kollisionen mit den umgebenden Molekülen. Anders gesagt: auch die neutrale Materie ist aufgrund dieser winzigen Körner noch relativ gut mit dem Magnetfeld gekoppelt. Wenn wir diese nun aber entfernen, so koppeln die größeren Körner nicht so effektiv, so dass sich die neutrale Materie der Wolke viel schneller durch die Magnetfeldlinien schleichen kann und schließlich eine Scheibe bildet, die ausreichend Rotationsunterstützung besitzt. „

Interstellare Molekülwolken bestehen aus Gas und Staubkörnern mit einer „Standardverteilung“ der Korngrößen, die auch eine große Menge an Körnchen in Nanometer-Größe enthält. Eine derartige Größenverteilung muss aber nicht unbedingt den dichteren Bereich der molekularen Wolke korrekt wiedergeben.

In kalten und dichten Molekülwolken können sich die winzigen Körner mit Nanometer-Größe wie große Moleküle verhalten und auf der Oberfläche von größeren Staubteilchen einfrieren. Eine weitere Unterstützung für diese Idee kommt von Beobachtungen bei Zentimeter-Wellenlängen, die versuchen Strahlung von rotierenden Staubkörnern nachzuweisen; auch sie zeigen, dass kleine Körner mit einer Größe unter wenigen Nanometern in dichten Molekülwolken fehlen.

„Wenn die Körner meist größer als 0,1 Mikrometer sind, können die rotationsgestützten Scheiben massereich genug werden, um selbst-gravitierend zu sein und Ringe zu bilden“, sagt Zhao. „Eine solche Struktur in 3D könnte leicht in mehrere Sternsysteme fragmentieren, was auch die hohe Vielzahl der Sterne in unserer Milchstraße erklären könnte.“

„Es ist sehr überraschend, dass die Entfernung der kleinen Staubkörnchen, die“magnetische Bremskatastrophe“ bei der Scheibenbildung verhindern kann“, sagt Paola Caselli, Co-Autorin der Studie. „Dies ist ein Durchbruch in unserem Verständnis, wie sich protoplanetare Scheiben bilden. Zugleich zeigt es, dass die Chemie und Mikrophysik für die grundlegenden Prozesse im Bereich der Stern- und Planetenentstehung von entscheidender Bedeutung sind.“

Kontakt:

Zhao, Bo
Postdoc
Telefon: +49 (0)89 30000-3348
E-Mail: bz6g@mpe.mpg.de
 
Caselli, Paola
Direktor/in
Telefon: +49 (0)89 30000-3400
E-Mail: caselli@mpe.mpg.de
 
Hämmerle, Hannelore
Pressesprecher/in
Telefon: +49 (0)89 30000-3980
E-Mail: pr@mpe.mpg.de
 
Originalveröffentlichung

1.Bo Zhao, Paola Caselli, Zhi-Yun Li, Ruben Krasnopolsky, Hsien Shang, Fumitaka Nakamura

Protostellar Disk Formation Enabled by Removal of Small Dust Grains

Quelle

Media Contact

Hämmerle, Hannelore Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching

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