27 Sekunden Hörtest für eine normale Entwicklung

Die Leiterin der Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie am Universitätsklinikum Münster (UKM) hat deshalb gemeinsam mit ihren Kollegen Peter Matulat und Dr. Michael Schmidt eine Zentrale gegründet, in der die Daten, die bei einem Neugeborenen-Screening – also dem Hörtest bei Neugeborenen – aufgenommen werden, gesammelt werden. „Tracking-Zentrale“ nennt sich die Einrichtung offiziell, von „tracking“ = Nachverfolgen.

In Münster bieten das UKM, das Franziskus- sowie das Hiltruper Krankenhaus das Neugeborenen-Screening standardmäßig an. Doch die Erfahrung der Pädaudiologen am UKM zeigt: mit dem Neugeborenen-Screening alleine ist es oft nicht getan. „Wenn es einen auffälligen Befund gibt bei dem Hörtest, wird der Test noch im Krankenhaus wiederholt. Ist das Ergebnis immer noch auffällig, wird den Eltern geraten, den Verdacht auf Hörstörung fachärztlich abklären zu lassen. Allerdings gibt es, haben die Eltern erst einmal das Krankenhaus mit dem Baby verlassen, niemanden mehr, der verfolgt, ob die Eltern eine so genannte „Ausschlussdiagnostik“ machen lassen.

„Bis eine hochgradige Hörstörung oder Taubheit diagnostiziert ist, dauert es heute noch im Schnitt 1,9 Jahre“, sagt Matulat. Eine mittelgradige Hörstörung brauche im Mittel 4,4 – eine leichte Hörstörung sogar 6,2 Jahre bis zur Diagnose. Die Tracking-Zentrale will deshalb erreichen, dass alle Geburtskliniken in Westfalen-Lippe ihre Screening-Daten an die Zentrale schicken. Bei einem kontrollbedürftigen Ergebnis in der Geburtsklinik bekommen die Eltern die Empfehlung für eine Ausschlussdiagnostik innerhalb von vier Wochen zusammen mit einer Liste aller Fachärzte im Umkreis ausgehändigt.

„Alle Pädaudiologen in der Region haben uns zugesagt, die Babies mit den auffälligen Befunden innerhalb kürzester Zeit zu diagnostizieren“, erklärt am Zehnhoff-Dinnesen. Hat die Zentrale innerhalb von vier Wochen noch keine Resonanz bekommen, werden die Eltern angeschrieben. „Ist dann erneut eine Zeit verstrichen, ohne dass uns Daten einer Bestätigungsdiagnose vorliegen, würden wir die Eltern auch anrufen“, sagt die Pädaudiologin. Das Thema sei einfach zu wichtig. Können Babies schon in den ersten Monaten nicht gut hören, kann es zu Wahrnehmungsstörungen, zu Störungen der Sprachentwicklung sowie der emotionalen und psychosozialen Entwicklung kommen. „Und schließlich auch zu Einschränkungen der schulischen und beruflichen Möglichkeiten“, so Matulat.

„Wir wollen erreichen, dass die Kinder mit den auffälligen Befunden eine ausführliche Hördiagnostik innerhalb der ersten drei Lebensmonate und – wenn nötig – Hörgeräte innerhalb der ersten sechs Monate bekommen. Dafür steht die Zentrale“, betont am Zehnhoff-Dinnessen. In Westfalen-Lippe gibt es 96 Geburtenkliniken, 34 von ihnen bieten standardmäßig das Neugeborenen-Screening an. „Noch immer zu wenige“, sagt die Expertin. Ihre Hoffung ist, dass alle Kliniken in Westfalen-Lippe das Screening anbieten und die Daten anschließend an die Zentrale vermitteln. Am Zehnhoff-Dinnesen: „Wir reden über durchschnittlich 27 Sekunden Hörtest, den die Kinder häufig gar nicht mitbekommen. Der Nutzen dieser 27 Sekunden ist jedoch unschätzbar.“

Am 5. September (Mittwoch) hat am Zehnhoff-Dinnesen Experten aus Westfalen-Lippe und Nordrhein, wo das gleiche Projekt gemeinsam mit den Unikliniken Aachen, Bonn, Düsseldorf und Köln läuft, eingeladen. „Hörscreening in NRW“ heißt der Titel der Veranstaltung, auf der sie über das Neugeborenen-Hörscreening informieren will. Gleichzeitig stellt sie dann das „Hörmobil“ vor. Durch Spenden hat die Pädaudiologin ein Auto finanziert bekommen, das ab sofort alle Krankenhäuser in Westfalen-Lippe anfährt, um über das Screening und die Tracking-Zentrale zu informieren. Auffälliges Zeichen: Auf dem Auto kleben zwei riesige Ohren.

Media Contact

Simone Hoffmann idw

Weitere Informationen:

http://www.hoerscreening-nrw.de

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