Die Würde des Patienten ist Maß aller Dinge
Der Wille des Kranken ist oberstes Gesetz. Doch wie kann der Kranke zu seinem Willen finden und ihn durchsetzen, wenn ihm eine Willensentscheidung nicht mehr möglich ist? Unter Leitung von Professor Dr. Dr. Heinz Pichlmaier diskutierten fast 100 Mediziner, Ethiker und Juristen in der Dr. Mildred Scheel Akademie in Köln Anfang Februar 2002 darüber, wie weit die Fürsorgepflicht des Arztes geht und wo die Bevormundung des Kranken anfängt.
Trotz Testament und Patientenverfügung stehen behandelnde Ärzte und Angehörige oft vor der Frage, wie der Patient zu behandeln ist, wenn er durch seine schwere und fortgeschrittene Krankheit nicht mehr im Besitz seiner vollen geistigen Kräfte ist. Der Arzt entscheidet immer für das Leben („in dubio pro vita“). Das Abschalten lebenserhaltener Maßnahmen ist prinzipiell untersagt. Oft erkennen die betroffenen Angehörigen, dass sich eine eindeutig formulierte Handlungsbefugnis im akuten Fall ganz anders darstellen kann. Dieses Spannungsfeld zwischen dem medizinisch Machbaren und der Verantwortung für eine würdevolle Behandlung des Patienten – auch aus juristischer Sicht – stand im Mittelpunkt der Tagung „Krebs im fortgeschrittenen Stadium – Autonomie und Verantwortung“ in Köln.
Der renommierte Professor Dr. Dr. h.c. Ludger Honnefelder vom Institut für Wissenschaft und Ethik der Universität Bonn betonte insbesondere die Verantwortung des behandelnden Arztes. Dabei steht die uneingeschränkte Autonomie des Patienten immer im Mittelpunkt allen Handelns. Trotzdem könne der testamentarisch verfügte Wunsch eines Patienten nicht immer erfüllt werden, stellte der Jurist Professor Dr. Andreas Spickhoff von der Universität Regensburg fest: Zum Einen kann das Testament zu einem Zeitpunkt verfasst worden sein, an dem damals übliche Methoden von medizinischen Fortschritt längst überholt sind. Zum Anderen kommt eine aktive oder passive Sterbehilfe hierzulande aus juristischen Gründen nicht in Frage. Dennoch kann ein Patient eine Behandlung trotz medizinischer Indikation ablehnen. Solche Anweisungen sind auch dann gültig, wenn im fortgeschrittenen Stadium seine Zurechnungsfähigkeit und Artikulationsmöglichkeit bereits eingeschränkt sind. Wichtig ist laut Professor Spickhoff jedoch, dass eine Patientenverfügung keine strenge Handlungsbindung für den Arzt bedeutet. Sie ist eine Äußerung von Wünschen. Je konkreter die Verfügung formuliert sei, desto besser ließe sich die medizinische Behandlung entsprechend dieser Wünsche ausrichten. Formblätter für Patienteneinwilligungen reichen hierbei meist nicht aus. Denn die physische und mentale Situation jedes Patienten ist immer unterschiedlich. Um hier mehr Sicherheit zu gewinnen, riet Professor Spickhoff zur umfangreichen Aufklärung durch den behandelnden Arzt. Hier müsse der Arzt jedoch viel Einfühlungsvermögen haben, um auf die emotionale Verfassung der Patienten einzugehen. Denn eine schonungslose Aufklärung kann den Krankheitsverlauf durchaus auch negativ beeinflussen. Auch sollten die nächsten Angehörigen ausführlich und ebenfalls einfühlsam informiert werden.
Vertrauen ist eine Grundvoraussetzung im Arzt-Patienten-Verhältnis. Das beste Verhältnis zum Patienten hat oftmals der Hausarzt. Hier besteht in der Regel eine langjährige Bindung. Andreas Spickhoff empfiehlt versorgenden Hausärzten deshalb, sich als Handlungsbevollmächtigter ihres Patienten einsetzen zu lassen. Der Hausarzt nimmt dann die Interessen des Patienten während der Intensivbehandlung wahr. In diesem Zusammenhang empfiehlt Professor Heinz Pichlmaier, alle Schritte einer Behandlung lückenlos zu dokumentieren. Denn in Konfliktsituationen ließe sich dann alles prüf- und beweisbar nachvollziehen. Das wäre dann von Nutzen, wenn beispielsweise Angehörige gegen die behandelnden Ärzte klagen. Dann könne, so Professor Spickhoff, vor Gericht auch die ärztliche Schweigepflicht aufgehoben werden, damit sich der Arzt gegenüber möglichen Vorwürfen verteidigen kann.
Dr. Ingeborg Jonen-Thielemann, Leiterin der Palliativstation des Dr. Mildred Scheel Haus am Klinikum der Universität zu Köln, betonte die besondere Stellung des behandelnden Arztes: Die Information des Patienten sei Pflicht des Arztes und Teil des persönlichen Verhältnisses zum Patienten. Vernachlässigt wird aber oft der größte Anteil der Kommunikation – die non-verbale Kommunikation. Meist weicht sie medizinisch-technischen Begriffen, die Patienten kaum verstehen. Frau Jonen-Thielemann fordert daher einfühlsame Gespräche, ein Eingehen auf die persönlichen Bedürfnisse des Patienten, Wahrhaftigkeit, Hoffnung, Verzicht auf Lügen, aktives Hinhören sowie empathische Antworten.
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Veranstaltungshinweis: 25. Deutscher Krebskongress, 10. bis 14. März 2002, Berlin, erstmalig gemeinsam veranstaltet von der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Krebshilfe. Infos unter www.krebskongress.2002.de.
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