"Herbst-Winter-Depressionen" oder depressive Verstimmung?

Zweiter Europäischer Depressionstag soll über Krankheit aufklären und informieren


Für Donnerstag, 6. Oktober 2005, hat die European Depression Association zum zweiten Mal den Europäischen Depressionstag ausgerufen. Die Koordination in Deutschland übernimmt Privatdozent Dr. Detlef Dietrich aus der Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH): „Die Welt-Gesundheits-Organisation geht davon aus, dass bis zum Jahr 2020 die Depression die weltweit führende Krankheitsursache neben den Herz-Gefäß-Erkrankungen sein wird. Hinzu kommt, dass ein größerer Teil der Betroffenen als depressiv Erkrankte nicht richtig erkannt und oft auch nicht adäquat versorgt wird.“ Oberstes Ziel der European Depression Association sei es deshalb, die Aufmerksamkeit für diese Erkrankung bei Patienten, Angehörigen, bei Ärzten, Pflegekräften und öffentlichen Entscheidungsträgern zu erhöhen sowie Informationsdefizite abzubauen.

Dass vor allem im Herbst, wenn die Tage kürzer und dunkler werden, depressive Erkrankungen vorkommen, ist allerdings ein Irrtum. „Depressionen beginnen das gesamte Jahr über und nehmen im Herbst und Winter kaum zu“, sagt Diplompsychologe Tim Pfeiffer-Gerschel vom Kompetenznetz Depression, Suizidalität und tätig in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die „Saisonal Abhängige Depression“ (SAD), eine Unterform der depressiven Erkrankung, trete jedoch zu dieser Jahreszeit auf. Etwa ein Prozent der Bevölkerung ist davon betroffen. Typische Symptome sind mangelnde Energie und verminderter Antrieb aber auch eine gedrückte Stimmung, Schuldgefühle und Freudlosigkeit. Im Gegensatz zu anderen Formen der Depression treten allerdings weder Schlafstörungen noch Appetitlosigkeit auf.

Wissenschaftler vermuten, dass der Mangel an natürlichem Tageslicht und die verminderte Lichtintensität während der dunkleren Monate verantwortlich für SAD sind. Durch den Lichtmangel werden im Gehirn bestimmte biochemische Veränderungen ausgelöst, die die Depression hervorrufen könnten. Die vermehrte Bildung des Hormons Melatonin, das unter anderem den Schlaf- und Wachrhythmus des Körpers beeinflusst, könnte dazu führen, dass manche Menschen sich schlapp und schläfrig fühlen. Ob man an SAD leidet oder ob es sich nur um eine depressive Verstimmung handelt, ist für den Laien oft schwer zu erkennen.

SAD wird wie andere Formen der Depression auch mit Hilfe antidepressiver Medikamente und psychotherapeutischen Verfahren behandelt. Zusätzlich kann die Behandlung durch eine gezielte Lichttherapie ergänzt werden, die den natürlichen Lichtmangel ausgleicht. Auch ein langer Spaziergang in der Herbstsonne ist ideal. Nebeneffekt hierbei ist außerdem frische Luft und Bewegung, was sich zusätzlich positiv auswirkt.

Grundsätzlich gilt: Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe seines Lebens an einer Depression zu erkranken, liegt bei fünf bis 15 Prozent. Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Auffällig ist auch das hohe Suizidrisiko: Etwa zehn bis 15 Prozent der schwer depressiven Patienten sterben durch Selbsttötung. Unter www.kompetenznetz-depression.de können Betroffene im Internet einen ersten Selbsttest machen, zur genaueren Klärung sollte allerdings ein Arzt aufgesucht werden.

Dabei gibt es viele Formen der Krankheit. „Wir kennen unterschiedliche Gesichter der Depression“, sagt Professor Dr. Dr. Hinderk Emrich, Direktor der MHH-Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie. Häufig löst das Phänomen des „Verlustes“ – zum Beispiel ein Verlust der Geborgenheit, des Partners, der Heimat – eine Depression aus. Bei der Dysthymie hingegen nehmen Menschen immer alles schwer und hadern mit ihrem Schicksal – Ursache ist da oft ein früher seelischer Konflikt. Auch bei organischen Hirnerkrankungen wie einem Schlaganfall kann sich als Folge eine depressive Stimmungslage entwickeln. „Manchmal versteckt sich die Krankheit wie eine Larve hinter körperlichen Symptomen, wir sprechen dann von einer larvierten Depression“, sagt Professor Emrich. Eine weitere Form: wiederkehrende Schübe, teilweise auch mit manischen Phasen. Die Ursache für diese so genannten bipolaren Störungen vermuten die Experten heute in Veränderungen von Hirnbotenstoffen. Und schließlich begleitet eine Depression oft andere psychische Erkrankungen wie eine wahnhafte Psychose oder beim Kokainentzug. „Auch hier müssen wir die Depression ernst nehmen, da diese Patienten stark suizidgefährdet sind.“

Wenn Sie einen Experten als Interviewpartner suchen, wenden Sie sich gern an Privatdozent Dr. Detlef Dietrich (siehe unten) oder an das Kompetenznetz Depression, www.kompetenznetz-depression.de.

Weitere Informationen gibt gerne Privatdozent Dr. Detlef Dietrich, Abteilung Klinische Psychatrie und Psychotherapie der MHH, unter Telefon: (0511) 532-6749/-6748, Fax: (0511) 532-2415, E-Mail: edd@mh-hannover.de.

Kompetenznetz Depression, Suizidalität
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