Neue Seilsägen für den Rückbau von Kernkraftwerken

Neben den Kernkraftwerken, die in Deutschland schon vom Netz gegangen sind, ist auch die Abschaltung der 17 verbliebenen Atomkraftwerke derzeit beschlossene Sache.

Weltweit ist die Abschaltung von etwa 120 Kernkraftwerken geplant. Was das für die Energieversorgung bedeutet, wird viel diskutiert – was aber bedeutet dieser Beschluss für das jeweilige Kraftwerk und dessen Betreiber?

Florian Seiffert, Ingenieur am Produktionstechnischen Zentrum der Leibniz Universität, weiß es: „Wenn ein Kernkraftwerk bis zur grünen Wiese zurückgebaut wird, dauert das bis zu 20 Jahre und kostet, je nach Bauart, mehrere hundert Millionen Euro.“ Der Rückbau ist so aufwendig, weil der Beton hocharmiert ist, also bis zu 50 Prozent Stahl enthält, weil es Druckgefäße und Dampftauscher aus Stahl gibt, und weil all das selbst strahlt oder zumindest radioaktiv belastet ist. Deshalb müssen nicht nur die abgetragenen Teile, sondern auch alle benutzten Werkzeuge und Maschinen nach ihrem Einsatz entsprechend entsorgt werden.

Eine sehr flexible und immer häufiger genutzte Methode, solche Anlagen zu zerlegen, ist das Seilsägen. Dabei wird ein mit Diamantperlen bestücktes Seil wie eine Säge um die entsprechenden Anlagenteile gelegt. Ein Motor treibt es mit etwa 40 bis 50 Kilometer pro Stunde an, es frisst sich (oder genauer: schleift sich) durch das Objekt, bis es, manchmal erst nach Tagen, das Material durchtrennt hat. Das Seil wird dabei mit Wasser gekühlt. Kühlwasser allerdings, das unkontrolliert abfließt, ist ebenfalls radioaktiv belastet und kontaminiert weitere Bereiche. Dieses Problem will Seiffert am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen am PZH in den kommenden drei Jahren lösen: In Zusammenarbeit mit E.ON und der Husqvarna GmbH und gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) startet er in diesen Tagen das Projekt „ProBeSt“ (Prozessentwicklung zur trockenen Bearbeitung von metallischen und mineralischen Strukturen beim Rückbau kerntechnischer Anlagen).

Das Ziel ist eine Seilsäge, die trocken schneiden kann. Kühlung muss natürlich sein, denn bei den hohen Temperaturen, gerade beim Schleifen von Stahl, graphitisiert der Diamant auf den Perlen – und schneidet dann ungefähr so gut wie ein Bleistift. Erste Vorversuche mit einer speziellen Luftkühlung, die sehr kalte Luft erzeugen kann, waren bereits erfolgreich. Die Herausforderungen sind dennoch immens: „Das Wasser, das wir ersetzen wollen, kühlt ja nicht nur, es bindet auch kontaminierten Staub und Späne. Das müssen wir bei einer Luftkühlung natürlich auch in den Griff bekommen.“

Neben der Lösung dieser beiden Probleme geht es auch darum, das Seilsägen großer Stahlobjekte allgemein zu optimieren und dessen Potenzial auszuschöpfen. „Und dieses Potenzial“, betont Prof. Berend Denkena, Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen, „ist groß. Man denke nur an ausrangierte Ölbohrinseln und andere Offshore-Strukturen, die vor Ort zerlegt werden müssen.“ Verbesserungsmöglichkeiten sehen die Ingenieure etwa bei alternativen Schneidstoffen, die sich in der „normalen“ Zerspanung von Stahl bereits bewährt haben. Auch eine Maschine soll entstehen, die ein gespanntes Seil quasi in das zu trennende Objekt eintaucht. Das würde die Flexibilität des umschlingenden Verfahrens wahren und die Stabilität des Seilsägens erhöhen.

Zum Produktionstechnischen Zentrum Hannover (PZH):
Das PZH ist 2004 aus der Idee der Leibniz Universität Hannover entstanden, Hochschulforschung, Industrie und Unternehmen der Produktionstechnik zusammenzubringen. So haben sich jene sechs Institute der Fakultät für Maschinenbau, die sich mit Produktionstechnik und Logistik beschäftigen, gemeinsam mit der PZH GmbH und zahlreichen Unternehmen zum Produktionstechnischen Zentrum Hannover zusammengeschlossen. Die GmbH als Universitätstochter übernimmt neben der Verwaltung des neuen Zentrums in Garbsen zahlreiche Aufgaben im Bereich Technologietransfer und Gründerberatung. Zurzeit arbeiten im PZH etwa 450 (Ingenieur-)Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und Angestellte in Technik und Verwaltung; außerdem rund 400 studentische Hilfskräfte. Das PZH ist eine Lehr- und Forschungsstätte, in der Grundlagen- und industrielle Auftragsforschung gleichermaßen auf höchstem, internationalem Niveau betrieben werden. Seit 2004 hat das PZH mehr als 85 Millionen Euro Drittmittel eingeworben.

Media Contact

Dr. Stefanie Beier idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-hannover.de

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