Nachtflugspezialisten haben auch tagsüber den Durchblick

Ruhender Rodrigues-Flughund (Pteropus rodricensis), eine der untersuchten Arten. Man beachte die recht großen, nach vorn gerichteten Augen. Bild: Dana LeBlanc, Lubee Bat Center, Gainesville, Florida

In der Netzhaut der meisten Säugetiere finden sich zwei Lichtsinneszelltypen: die sogenannten Zapfen für das Tageslicht- und Farbensehen, sowie die empfindlicheren Stäbchen für das Nachtsehen. Für die nachtaktiven Fledermäuse galt bisher, dass sie nur Stäbchen besitzen. Wissenschaftler vom Frankfurter Max-Planck-Institut für Hirnforschung und vom Field Museum for Natural History in Chicago haben jetzt herausgefunden, dass die Netzhaut der ebenfalls nachtaktiven Flughunde, nahe Verwandte der Fledermäuse, nicht nur die fürs Nachtsehen nötigen Stäbchen enthält, sondern auch Zapfen. Damit sind die Flughunde auch für ein Sehen bei Tageslicht ausgestattet. Die Forscher vermuten, dass ihnen das bei der frühzeitigen Erkennung von Raubvögeln und bei sozialen Interaktionen in der Kolonie hilft, denn die Tiere haben ihre Ruhequartiere tagsüber oft in offenen Baumkronen, wo sie große Kolonien bilden (Brain, Behavior and Evolution, 2007).

Die Säugetierordnung Fledertiere (Chiroptera) besteht aus zwei Unterordnungen, den Fledermäusen (Microchiroptera) und den Flughunden (Megachiroptera). Im Gegensatz zu Fledermäusen besitzen Flughunde kein Echoortungssystem, dafür haben sie große Augen und gut ausgeprägte Sehzentren im Gehirn. Ein guter Sehsinn ist auch notwendig, denn die Früchte und Nektar fressenden Tiere gehen nachts auf Nahrungssuche und orientieren sich dabei sowohl visuell als auch geruchlich. Während der Hin- und Rückflüge in der Abend- und Morgendämmerung navigieren sie ausschließlich visuell. In mondlosen Nächten können Flughunde daher nicht ausfliegen und müssen hungern. Visuelle Navigation in der Dämmerung und vereinzelt auch bei Tag – das passt eigentlich nicht zu der in einigen klassischen Arbeiten vertretenen Ansicht, dass Flughunde nur Nachtsicht-taugliche Stäbchen besitzen. Und genau deshalb machten sich Brigitte Müller und Leo Peichl vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt/Main und ihr Kollege Steven Goodman vom Field Museum for Natural History in Chicago mit modernen histologischen Methoden daran, die Photorezeptor-Ausstattung der Flughunde zu untersuchen.

Zur Identifizierung der verschiedenen Photorezeptortypen verwendeten die Forscher Sehpigment-spezifische Antikörper und färbten damit die Retinae mehrerer Flughund-Arten. Wie erwartet besaßen alle Arten eine hohe Stäbchendichte – Voraussetzung für die nächtliche Navigation. Daneben fanden sich bei allen aber auch Zapfenpopulationen, die etwa 0,5 Prozent der Photorezeptoren ausmachten. „Dieser Anteil erscheint gering“, sagt Brigitte Müller, „aber aus Studien an anderen dämmerungsaktiven Tieren wissen wir, dass er ausreicht, um die Tiere auch bei Tageslicht sehen zu lassen.“ So haben zum Beispiel Katzen und Hunde nur einen Anteil von etwa zwei bis vier Prozent an Zapfen, und selbst die Retina des tagaktiven Menschen enthält im Mittel nur etwa fünf Prozent Zapfen. „Die Retina der Flughunde ist also kein ‚evolutionäres Unikat’, sondern entspricht dem allgemeinen Säugetierbauplan, der Stäbchen und Zapfen vorsieht“, erklärt die Forscherin.

Bei den untersuchten Riesenflughunden (Gattung Pteropus) fanden sich zwei spektrale Zapfentypen: sogenannte Blau-Zapfen, die Licht im kurzwelligen Bereich aufnehmen, und die sogenannten Grün-Zapfen, die Licht im langwelligen Bereich empfangen. Damit haben die Riesenflughunde – wie die meisten anderen Säugetiere – die Zapfen-Ausstattung für dichromatisches Farbensehen. Überraschend war für die Forscher, dass die Retinae der anderen drei untersuchten Gattungen Rousettus (Höhlenflughunde), Eidolon (Palmenflughund) und Epomophorus (Epaulettenflughunde) nur Grün-Zapfen besitzen, die Blau-Zapfen fehlen hier völlig. „Mit nur einem Zapfentyp sind keine spektralen Unterscheidungen möglich, diese Arten sind also farbenblind“, sagt Leo Peichl. „Ein solcher Verlust der Blauzapfen ist in der Evolution selten, man hat das bisher nur bei einzelnen Säugergruppen gefunden.“ Die Forscher schlussfolgern, dass für die drei betroffenen Flughund-Gattungen Farbensehen weniger überlebenswichtig ist als für die Riesenflughunde.

Riesenflughunde haben ihre Tagesquartiere in offenen Baumkronen, wo sie Fressfeinden – besonders Raubvögeln – ausgesetzt sind und ein visuelles ‚Frühwarnsystem’ dem Überleben nützt. „Außerdem schlafen die Flughunde nicht den ganzen Tag, sondern wechseln des öfteren den Hängeplatz und interagieren mit ihren Nachbarn; Jungtiere machen tagsüber Probeflüge“, erzählt Brigitte Müller. „Für all diese Tagesaktivitäten müssen sie sehen können.“ Rousettus hingegen nistet bevorzugt in Höhlen und Epomophorus in den dunkelsten Astregionen großer Bäume. Das mag erklären, warum diese Gattungen etwas kleinere Augen und geringere Zapfendichten als die Riesenflughunde haben und darüber hinaus farbenblind sind. Auch in menschlicher Obhut hingen die Riesenflughunde tagsüber in den offenen Volieren, während sich die anderen Gattungen in abgedunkelte ‚Schlafkammern’ zurückzögen, berichtet Dana LeBlanc vom Lubee Bat Center in Florida. Bei der Futtersuche helfen die Zapfen allerdings nicht, denn nachts sind die Flughunde – wie alle Säugetiere – auf die empfindlicheren Stäbchen angewiesen, die keine Farbinformation vermitteln.

[LP/CB]

Originalveröffentlichung:

Brigitte Müller, Steven M. Goodman & Leo Peichl
Cone photoreceptor diversity in the retinas of fruit bats (Megachiroptera)
Brain, Behavior and Evolution 70: 90-104 (2007)

Media Contact

Dr. Bernd Wirsing Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

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