Atomare Sicht der Oxidation von Metalloberflächen
Science-Veröffentlichung von Prof. Herbert Over, Physikalisch-chemisches Institut der Universität Gießen
Die Oxidation von Metalloberflächen ist ein alltägliches Ereignis, das neben den volkswirtschaftlich negativen Folgen, wie etwa das Rosten von Autos, auch zu maßgeschneiderten Materialien führen kann. Hier seien nur zwei prominente Beispiele erwähnt: die Herstellung von elektronischen Bauteilen (z.B. MOS-FET) in der Computer-Branche und feste Katalysatoren, wie sie zum Beispiel zum Reinigen der Abgase von Verbrennungsmotoren in Autos Anwendung findet. Die Gruppe „Oberflächenchemie und Modellkatalyse“ um Prof. Dr. Herbert Over in der Physikalischen Chemie der Justus-Liebig-Universität Gießen hat kürzlich in der äußerst renommierten amerikanischen Wissenschaftszeitschrift Science (Ausgabe vom 20. September 2002, Seite 2003) eine Perspektive über die Oxidation von Metalloberflächen auf atomarer Skala vermittelt und über einige erstaunliche Erkenntnisse berichtet.
Amerikanische Wissenschafter (Dr. K. Thürmer, Prof. E. Williams und Prof. J. Reutt-Robey) zeigten in derselben Ausgabe von Science, dass das chemisch reine Metall Blei unfähig ist, eine Metall-Sauerstoff-Verbindung einzugehen. Blei benötigt vielmehr Verunreinigungen, an denen der Sauerstoff zunächst angreifen kann und so das Metall lokal in ein Oxid verwandelt. Damit der Sauerstoff aus der Luft dies vermag, muss die Metalloberfläche das Sauerstoffmolekül erst spalten. Dieser Prozess der Molekülspaltung ist auf der Oberfläche von Blei nur an Verunreinigungen möglich. Hat sich jedoch eine kleine Oxiddomäne von wenigen Nanometern (tausendmal kleiner als ein typischer Haardurchmesser) gebildet, so erfolgt die weitere Oxidation von Blei selbstbeschleunigend, d.h. je mehr Oxid vorhanden ist, desto schneller wird weiteres Oxid gebildet. Solche selbstbeschleunigenden Reaktionen sind in der Chemie wohlbekannt, zum Beispiel im Bereich der Explosionen.
Hochinteressant ist nun, dass an vielen anderen Metalloberflächen die Sauerstoffspaltung von selbst abläuft. Allerdings ist auch dort eine Oxidation zunächst gehemmt. Die Fähigkeit, das Sauerstoffmolekül zu spalten, erlahmt nämlich auf reinen Metalloberflächen sehr schnell. Erst die Bildung von Oxiddomänen erlaubt eine effiziente Aufnahme von Sauerstoff, so dass die weitere Oxidation wieder selbstbeschleunigend abläuft.
Solche elementaren Prozesse sind von erheblichem Interesse in der Katalyseforschung, da die Reaktionen zu gewünschten Produkten häufig unter sauerstoffreichen Bedingungen erfolgen. Dabei wird der Metallkatalysator oxidiert und die chemische Aktivität verändert. Mit solchen und verwandten Fragestellungen setzen sich die Forscher um Prof. Over, der seit Anfang des Jahres an der Universität Gießen forscht und lehrt, eingehend auseinander, um damit vertiefte Einblicke in die atomaren Prozesse bei der Katalyse zu gewinnen. Die Chemie an Oberflächen ist ein heute hochaktuelles interdisziplinäres Gebiet im Bereich der Materialforschung, das Chemie und Physik in Experiment und Theorie zusammenführt und damit die Wissenschaftslandschaft in der Chemie an der Justus-Liebig-Universität nachhaltig bereichert. Zusammen mit der seit 1999 in Gießen tätigen Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Jürgen Janek, deren Hauptarbeitsgebiet ebenfalls auf dem Gebiet der Festkörpergrenzflächen liegt und die sich unter anderem intensiv mit der elektrochemischen Steuerung katalytischer Prozesse auseinandersetzt, werden derzeit verschiedene zukunftsträchtige Projekte geplant. Zusammen mit Arbeitsgruppen in der Anorganischen Chemie und der Physik hat sich in Gießen in jüngster Zeit im Bereich der Materialforschung ein sehr leistungsfähiger Schwerpunkt entwickelt, der bereits jetzt Früchte trägt und mit Ehrgeiz in die Zukunft blickt.
Kontaktadresse:
Prof. Dr. Herbert Over
Physikalisch-chemisches Institut
Heinrich-Buff-Ring 58
35392 Gießen
Tel.: 0641/99-34550
Fax: 0641/99-34509
E-Mail: Herbert.Over@phys.Chemie.uni-giessen.de
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