Warum Vögel nicht von der Stange fallen: RUB-Forscher entdecken zweites Gleichgewichtsorgan

Schema des lumbosacralen Rückenmarks bei Tauben

Dass Vögel ihre Flugbewegungen durch ein Gleichgewichtsorgan im Innenohr steuern, ist in der Fachwelt bereits lange bekannt. Prof. Reinhold Necker, Lehrstuhl für Tierphysiologie der RUB, hat nach vierjähriger Forschung das zweite Gleichgewichtsorgan bei Tauben entschlüsselt. Er weist anhand seines DFG-Projektes „Untersuchungen zur Funktion der akzessorischen Loben im Rückenmark der Tauben“ das zusätzliche Gleichgewichtsorgan nach, das Vögeln das aufrechte Gehen und Stehen ermöglicht.

Die Kunst, aufrecht zu gehen

Da sich ihre Vorderbeine im Laufe der Evolution zu Flügeln umgewandelt haben, stehen oder gehen Vögel ausschließlich auf ihren Hinterbeinen, ähnlich wie der Mensch. Im Unterschied zum Menschen ist der Körper des Vogels jedoch horizontal ausgerichtet. Wissenschaftler konnten sich entsprechend lange nicht erklären, wie diese beim Gehen oder Sitzen auf Ästen oder Stangen das Gleichgewicht halten, zumal ihnen ein längerer Schwanz zum Ausgleichen fehlt. Biologen haben entsprechend schon lange vermutet, dass Vögel zusätzlich zum Innenohr ein weiteres Gleichgewichtsorgan im Körper besitzen. Dieses hat Prof. Necker nun in dem Bereich des Beckens, der für die Beine zuständig ist (Lumbosacralbereich) gefunden und seine Funktion entschlüsselt.

Funktion des Gleichgewichtsorgans

Im Lumbosacralbereich befinden sich Neuronen (Nervenzellen) in den seitlichen Auslappungen des Rückenmarks, in den sogenannten akzessorischen Loben (s. Abbildung), sowie große Flüssigkeitsräume (Liquor), die das Rückenmark umgeben. Über den Loben öffnen sich Bogengänge. Wie im Bogengangsystem des Innenohrs üben die Flüssigkeitsbewegungen einen mechanischen Reiz auf die Loben aus. In elektrophysiologischen und elektronenmikroskopischen Untersuchungen zeigte der Bochumer Biologe auf, dass die Neuronen mechanische Reize wahrnehmen können. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass die Neurone sowohl auf das motorische System der Beine weiterverschaltet als auch die Reize zur Korrektur der Bewegung an das Kleinhirn weitergeleitet werden. Auch aus Verhaltensexperimenten konnte Prof. Necker schlussfolgern, dass Loben Gleichgewichtsorgane für das Laufen und Sitzen bei Vögeln sind: Nachdem er die Flüssigkeitsräume geöffnet hatte, waren die Tiere mit zugebundenen Augen nicht mehr in der Lage, gerade zu stehen oder zu laufen. Sie fielen von ihrer Stange oder kippten nach allen Seiten. Fliegen konnten sie trotzdem, so dass der Wissenschaftler rückschloss, dass dieses Sinnesorgan primär auf die Beinmotorik wirkt.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Reinhold Necker, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Biologie, Lehrstuhl für Tierphysiologie, D-44780 Bochum. Tel.: +49-(0)234 32 26640, Fax: +49-(0)234 32 06640, E-Mail: Reinhold.Necker@ruhr-uni-bochum.de

Media Contact

Dr. Josef König idw

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Physiker Professor Simon Stellmer von der Universität Bonn beim Justieren eines Lasers, der für Präzisionsmessungen eingesetzt wird.

Simon Stellmers GyroRevolutionPlus erhält ERC-Zuschuss von 150 000 € für Katastrophenwarnungen

Europäischer Forschungsrat fördert Innovation aus der Physik an der Uni Bonn „Mit GyroRevolutionPlus verbessern wir die Messgenauigkeit von Ringlaserkreiseln, sogenannten Gyroskopen, mit denen wir langsame und tiefliegende Erdrotationen oder auch…

Unterschiedlich regulierte kleine RNAs aus Blut oder Haut sind mögliche Biomarker, die in Zukunft helfen könnten, Fibromyalgie schneller und besser zu diagnostizieren und damit unter anderem die Stigmatisierung abzubauen.

Objektive Diagnose von Fibromyalgie: Neue Innovationen Erklärt

Prof. Dr. Nurcan Üçeyler und Dr. Christoph Erbacher von der Neurologischen Klinik des Uniklinikums Würzburg (UKW) haben ihre neuesten Forschungsergebnisse zum Fibromyalgie-Syndrom (FMS) in der Fachzeitschrift Pain veröffentlicht. Sie fanden…

Links: EHT-Bilder von M87* aus den Beobachtungskampagnen 2018 und 2017. Mitte: Beispielbilder aus einer generalrelativistischen magnetohydrodynamischen (GRMHD) Simulation zu zwei verschiedenen Zeiten. Rechts: Dieselben Simulations-Schnappschüsse, unscharf gemacht, um der Beobachtungsauflösung des EHT zu entsprechen.

Die neueste M87-Studie des EHT bestätigt die Drehrichtung des Schwarzen Lochs

Erster Schritt auf dem Weg zu einem Video vom Schwarzen Loch FRANKFURT. Sechs Jahre nach der historischen Veröffentlichung des ersten Bildes eines Schwarzen Lochs stellt die Event Horizon Telescope (EHT)…