Die Umformung mit Schallwellen verfolgen

Der Aspekt einer Kopplung der zugrunde liegenden physikalischen Mechanismen innerhalb eines thermo-mechanischen Prozessschrittes führt zu überaus wirtschaftlichen Fertigungsszenarien. Ohne die Verfügbarkeit neuartiger, zerstörungsfreier Prüfkonzepte lässt sich die Qualität solcher Fertigungsprozesse und der daraus hervorgehenden Produkte nicht gewährleisten. Dabei steht nicht nur die Frage im Vordergrund, wie man überhaupt der Forderung nach verlässlichen ortsbezogenen Eigenschaftsaussagen mit entsprechend hoher Auflösung Folge leisten kann.

Echtzeitfähiges Messprinzip mit geeigneter Prüftechnik gefordert

Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Forderung nach einem echtzeitfähigen und damit in den laufenden Fertigungsprozess integrierbaren Messprinzip mit geeigneter Prüftechnik. Zu diesem Zweck wurde das Messprinzip der „akustischen Kamera“ adaptiert, das über eine Lokalisierung von Schallwellen auf Basis des Delay-und-Sum-Beamforming im Zeitbereich Informationen zu den lokalen akustischen Schwingungseigenschaften eines angeregten Bauteils liefert. Über eine neu entwickelte analytische Datenaufbereitung ist man nun in der Lage, Aussagen zu der im Querschnitt befindlichen Mikrostruktur an jedem Ort des Prüflings zu treffen.

Eine erhebliche Verbesserung der Effektivität und Flexibilität kann bei bestehenden Massivumformverfahren durch neue zeit- und ortsvariable thermo-mechanisch gekoppelte Prozessstrategien erzielt werden. Ein definiertes Temperaturprofil führt während der Formgebung zu einer lokal angepassten Eigenschaftsverteilung. Diese Strategie geht einher mit einem Übergang von einer freien zu einer zunehmend werkzeuggebundenen Formgebung sowie von einem durch freie Konvektion hin zu einem durch zunehmende Wärmeleitung bestimmten Wärmetransportmechanismus.

Wahl der Prozesstemperatur bestimmt das Gefüge

Das traditionelle Verständnis einer thermo-mechanischen Prozessführung geht in den allermeisten Fällen von einer simultanen Formgebung und Wärmebehandlung des gesamten Werkstücks aus. Die Wahl der Prozesstemperatur bestimmt hierbei, ob ein umwandlungsgehärtetes, ein mehrphasiges, ein rekristallisiertes oder ein kaltverfestigtes Gefüge bestehen wird. Dagegen steuert bei der orts- und zeitvariablen Prozessführung das Temperaturprofil sowohl den Werkstofffluss und damit letztlich die Geometrieausbildung als auch dabei auftretende mikrostrukturelle Phänomene.

Der je nach lokaler Temperatur- und Dehnungsverteilung erreichbare fließende Übergang vielfältiger Mikrostrukturen ist dabei sicherlich charakteristisch für die unter diesen Bedingungen hergestellten Werkstücke. Zonen, deren maximale Temperatur die Austenitisierungstemperatur Ac3 überschreitet, entwickeln abhängig von den Abkühlgeschwindigkeiten lokal stark unterschiedliche Gefügestrukturen.

Das Versuchsfeld des Lehrstuhls für Umformtechnik wurde für eine Welle mit einem Flansch konfiguriert und besteht aus einer hydraulischen 1000-kN-Presse, einer Induktionserwärmung mit einem Mittelfrequenzumrichter (5 bis 15 kHz) und einer Leistung von 60 kW sowie einer elektropneumatisch gesteuerten Werkstücktransfereinrichtung mit einer Vorrichtung zum Klemmen und Rotieren des Werkstücks. Die Werkstücktemperatur während Erwärmung, Transfer, Umformung und Abkühlung wird thermographisch über eine Kamera und lokal über ein Pyrometer erfasst.

Modulares Werkzeugdesign ermöglicht hohe Flexibilität

Das Werkzeug ist modular ausgelegt und besteht aus einer Aufnahme für die Aktivkomponenten, die auf einfache Weise ausgetauscht werden können. So können einerseits sukzessive komplexere Formen und andererseits neue Werkzeugwerkstoffe und Werkzeugbeschichtungen auf ihren Einfluss im Prozess untersucht werden. Das Werkzeug übernimmt neben der Geometrieeinstellung im Warmumformbereich zudem die Aufgabe der Kontaktkühlung.

Dazu sind zwei Varianten vorgesehen: in der ersten Variante, die durch eine passive Kühlung gekennzeichnet ist, erfolgt die Wärmeabfuhr allein über das Werkzeug. Dies birgt jedoch den Nachteil, dass bei einem hohen Durchsatz die Werkzeugtemperatur ansteigt. In der zweiten, aktiv gekühlten Variante ist das Werkzeug mit Kühlkanälen, durch die das Kühlwasser mit einer Temperatur von 20 °C fließt, ausgestattet. Dadurch wird eine stete Werkzeugtemperaturzunahme vermieden und die Kühlleistung gesteigert.

Beschleunigte Abkühlung durch Wärmeleitung während des Werkzeug-Werkstück-Kontaktes

Der generelle Versuchsablauf umfasst die partielle induktive Erwärmung, die automatisierte Positionierung des Werkstücks in das Werkzeug sowie den Umform- und integrierten Abkühlvorgang. Je nach Konfiguration des Werkzeugs sind unterschiedliche Abkühlstrategien möglich. Während des Werkstücktranfers, der Positionierung und zu Beginn des Umformvorgangs, bei dem im Wesentlichen eine freie Umformung des erwärmten Bereiches stattfindet, treten Wärmeverluste infolge von Strahlung und freier Konvektion auf. Eine beschleunigte Abkühlung durch Wärmeleitung erfolgt während des intensiven Werkzeug-Werkstück-Kontaktes. Nach dem Entlasten und Auswerfen des Werkstücks treten nur noch konvektive Wärmeverluste auf. Die durchgeführten Umformversuche erfolgten mittels aktiver und passiver Werkzeugkühlung sowie mit Schließzeiten von 4 und 28 s.

Produkte mit Mehrfachnebenformelementen sind dabei allein durch die ortsvariable Temperaturverteilung mit einfachen Prozesshilfsmitteln erreichbar. Bild 3 stellt die resultierenden Härteprofile der durchgeführten Umformversuche dar. Es zeigt sich ein signifikanter Einfluss der Kontaktzeit zwischen Werkzeug und Werkstück auf die maximal erzielbare Oberflächenhärte. Die Art der Werkzeugkühlung beeinflusst wesentlich die Einhärttiefe.

Mikrostruktur wird mit akustischer Kamera überprüft

Dieser Einfluss auf die Geometrie-eigenschaften lässt sich mittels der akustischen Kamera erfassen und ist durch eine farbcodierte Darstellung des Effektivwertes des Schalldrucks nach dem Umformversuch darstellbar. Diese Ergebnisse spiegeln die zuvor gezeigten Härtewerte wider. Die Bildung gehärteter Gefügebereiche führt zu einer Steigerung der akustischen Dämpfung infolge der Bildung martensitischer Gefügestrukturen während des Umformprozesses. Die akustische Dämpfungskonstante steigt mit der zunehmenden Einhärttiefe und somit mit dem Anteil an martensitischer Phase im untersuchten Probenbereich an.

Die Resonanzfrequenzen und die resultierenden Halbwertsbreiten zeigen ebenfalls eine starke Beeinflussung durch die im akustischen Auswertebereich vorliegenden mechanischen Kennwerte und somit der Mikrostruktur. Die kurze Kontaktzeit zwischen Werkstück und Werkzeug bewirkt einen schmalen Resonanzpeak, was durch die Halbwertsbreite ausgedrückt wird. Die Kühlstrategie hat keinen Einfluss auf die Halbwertsbreite. Aufgrund gleicher Oberflächenhärten aber unterschiedlicher Eindringtiefen weisen die Umformprozesse mit längeren Kontaktzeiten unterschiedliche Halbwertsbreiten auf.

Akustische Kamera in Schallreflexion reduzierenden Messkammer integriert

Die akustische Kamera ist in einer Schallreflexion-reduzierenden Messkammer zur Schwingungsuntersuchung integriert. Durch eine differenzielle thermo-mechanische Prozessführung bei der Massivumformung können bei den Bauteilen gradierte Eigenschaften bei gleichzeitig komplexer Geometrie eingestellt werden. Die erhöhte Reproduzierbarkeit durch die Automatisierung des experimentellen Ablaufs eröffnet die Möglichkeit der vertieften Untersuchung von einzelnen Prozessparametern und ihres Einflusses auf den Prozess. So wird die funktionale Gradierung über die Wahl der Erwärmungsbedingungen und der Abkühlstrategie durch ihren Einfluss auf die Steuerung der Phasenumwandlung erzeugt.

Beide Prozessschritte beeinflussen sich im Hinblick auf die Endeigenschaftsverteilung, sie können jedoch unabhängig voneinander variiert werden. Durch die geeignete Wahl der Prozessparameter bei Erwärmung und Abkühlung lassen sich Bauteile mit einer funktionalen Eigenschaftsverteilung in nur einem Pressenhub erzeugen.

Die ursprünglich ausschließlich zur Ortung von Schallquellen ausgelegte akustische Kamera lässt sich bedingungslos auf eine Überprüfung der erzielten Mikrostruktur übertragen. Nach der mechanischen Erzeugung des akustischen Signals und dessen Auswertung können zum einen die Form der Hüllkurve und zum anderen die Ermittlung der Schwingungsresonanzen sowie der zugehörigen Halbwertsbreiten für beliebige Punkte des Bauteils bestimmt werden. Hiermit eröffnen sich völlig neuartige Methoden zur zerstörungsfreien und berührungslosen Detektion von lokal differenzierten Materialeigenschaften innerhalb eines Bauteils.

Die Ergebnisse basieren auf Untersuchungen des Sonderforschungsbereiches SFB/TR TRR 30, welcher von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Das Testmaterial wurde von der Georgsmarienhütte GmbH bereitgestellt.

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Manuel Maikranz-Valentin und and MM MaschinenMarkt

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