Bamberger Wissenschaftler untersuchen Gesichtsblindheit

Beispielsweise leiden etwa zwei Millionen Deutsche an einer sogenannten angeborenen „Gesichtsblindheit“ (Prosopagnosie). Die Betroffenen erkennen andere Menschen nur sehr schwer an ihren Gesichtern und können sich neue Gesichter generell nicht gut merken. Noch bis vor vier Jahren galt diese Störung als ausgesprochen selten.

„Das Gehirn verarbeitet die Flut von ständig hereinkommenden Sinneswahrnehmungen modular, das heißt, verschiedene Bereiche filtern, sammeln und kombinieren die Daten auf jeweils spezifische Weise. Wenn eines dieser Module gestört ist, können andere seine Aufgaben teilweise übernehmen und so für einen Ausgleich sorgen“, erklärt Carbon. Damit können sieSchwächen in einem Modul mehr oder weniger gut ausgleichen. Das gilt besonders für angeborene Teilleistungsschwächen, weil sich das Gehirn dann von Anfang an anders entwickelt. Wer beispielsweise ein Gesicht nicht gut erkennen kann, nimmt andere Erkennungsmerkmale wie Stimme oder Figur zu Hilfe. Weil die eigentlich sozial wichtige Aufgabe nicht Gesichts-, sondern Personen-Erkennung heißt, können die Betroffenen den Ausfall der Gesichtserkennung damit teilweise ausgleichen. Viele Tests nehmen darauf nicht ausreichend Rücksicht und können Teilleistungsschwächen deswegen nicht hinreichend diagnostizieren.

Zudem versuchen Menschen, peinliche Leistungsschwächen so gut es geht zu verbergen. „Wenn Menschen Gesichter nicht gut erkennen, werden sie sich eine ganze Reihe von Ausreden bereitlegen, die erklären sollen, warum sie an Bekannten einfach vorbei gelaufen sind“, so der Psychologe. Durch die verschiedenen Anpassungsmechanismen verändert sich jedoch ihr Verhalten, denn sie bewältigen die Aufgabe anders als die meisten übrigen Menschen. Für eine korrekte Diagnose ist deshalb die Verhaltensänderung wichtiger als die Feststellung einer eventuell reduzierten Erkennungsleistung.

Die Bamberger Wissenschaftler, die beide seit langer Zeit weltweit führend im Bereich der angeborenen Prosopagnosie forschen, sind sich sicher: Verbesserte Verfahren zur Evaluierung der Lernfähigkeit des Gehirns könnten dazu beitragen, den von einer Teilleistungsschwäche Betroffenen gezieltere Hilfe zukommen zu lassen. Außerdem versprechen sie spannende neue Erkenntnisse über Funktionsweise, Dynamik und Strukturen des Gehirns.

Informationen zur Forschung der beiden Bamberger Psychologen finden Sie unter http://www.experimental-psychology.de und unter http://www.prosopagnosie.de.

Kontakt:
Prof. Dr. Claus-Christian Carbon
Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie
Markusplatz 3
96047 Bamberg
Tel.: 0951 / 863-1860
Mail: claus-christian.carbon@uni-bamberg.de

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Dr. Monica Fröhlich idw

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