Globalisierung und nationale Kultur: ein Spannungsfeld

Johann Gottfried Herder (1744 - 1803).

Was das Verhältnis der Völker untereinander angeht, so hatte der Philosoph Johann Gottfried Herder (1744 – 1803) ganz eigene staats- und rechtstheoretische Vorstellungen. Diese sollen am Institut für deutsche und bayerische Rechtsgeschichte der Uni Würzburg erschlossen werden. Herders Ideen stammen aus einer Zeit, in der sich ähnliche Spannungsfelder auftaten wie heute. Sie bieten darum möglicherweise eine Grundlage für die Politikberatung.

Globalisierung und Europäisierung, Regionalisierung und Identität – diese Schlagworte machen die Runde. Sie lassen eine krisenhafte Spannung zwischen den Anforderungen der entstehenden Weltgesellschaft und dem Beharren auf kultureller Eigenständigkeit erkennen.

Die Frage, wie sich in Zukunft ein gemeinsames Ethos der Menschheit und die Traditionen nationaler Kulturen zueinander verhalten sollen, ist unbeantwortet. Schon in Europa erweist sich die Notwendigkeit, den Wirtschaftsraum zu vergrößern und die Lebensbedingungen der Völker einander anzunähern, trotz verwandter historischer Traditionen als eine schwierige Aufgabe. Sie wird durch den bevorstehenden Eintritt der osteuropäischen Staaten in die Europäische Union noch weiter kompliziert, da dort das Selbstverständnis der Menschen aufgrund ganz anderer Erfahrungen in der jüngsten Vergangenheit nachhaltig von der nunmehr erreichten nationalen Unabhängigkeit bestimmt wird.

Die Frage, ob und wie sich menschenrechtliches und nationalkulturelles Denken miteinander vereinbaren lassen, dürfte die Öffentlichkeit in zunehmendem Maße beschäftigen. Politische und religiöse Toleranz, Freizügigkeit, individuelle Selbstbestimmung und damit Bereitschaft auch zu kultureller Koexistenz einerseits, andererseits Festhalten an überlieferten kulturellen Mustern, an ethnischen und regionalen Besonderheiten, an Sprachenvielfalt und Heimatverbundenheit: „Solche Stichworte umschreiben ein Spannungsverhältnis, von dem im Augenblick niemand zu sagen weiß, wie es in Europa, geschweige denn zwischen den Weltkulturen bewältigt werden soll“, so der Rechtshistoriker Prof. Dr. Dietmar Willoweit von der Uni Würzburg.

Dabei sei die Thematik keineswegs neu. Sie begegnet laut Willoweit schon in der Spätaufklärung des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Damals hatte einerseits die Vernunft die natürlichen Rechte des Menschen und die Einheit der Menschheit entdeckt, andererseits waren aber auch die Geschichtlichkeit der menschlichen Existenz und damit die naturhafte Besonderheit der Völker und ihrer Kulturen bewusst geworden.

Dietmar Willoweit: „Für den rückblickenden Beobachter erscheinen die naturrechtliche Epoche und die Zeit des beginnenden Historismus als einfach voneinander abzugrenzende Stufen eines geradlinig verlaufenden geistesgeschichtlichen Prozesses.“ Unter den Zeitgenossen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts aber habe sich von beiden Ansätzen her ein eng miteinander verflochtener Diskurs entwickelt, dessen Erkenntnisse und Leitlinien bis heute für das politische Denken bestimmend geblieben seien.

Johann Gottfried Herder darf als einer der hervorragendsten Vertreter dieses Diskurses gelten. Ziel eines am Institut für deutsche und bayerische Rechtsgeschichte der Universität Würzburg angesiedelten Projektes ist es daher, das reichhaltige, aber nicht leicht erschließbare Werk Herders in Hinblick auf seine staats- und rechtstheoretischen Leitideen und Modellvorstellungen, die er für das Verhältnis der Völker zueinander für maßgebend erachtete, zu untersuchen. Auf dieser Grundlage soll der Versuch unternommen werden, im Sinne einer wissenschaftlich fundierten Politikberatung Gestaltungsalternativen für die Zukunft zu entwickeln. Der Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien fördert dieses Projekt von Prof. Willoweit.

Weitere Informationen: Prof. Dr. Dietmar Willoweit, T (0931) 31-2363, Fax (0931) 31-2103, E-Mail: 
l-willoweit@jura.uni-wuerzburg.de

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Robert Emmerich idw

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