Bulgariens Elite wandert ab

„Migrations from and towards Bulgaria (1989-2011)“ – unter diesem Titel rangiert eine interdisziplinäre Konferenz an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die sich am 27. und 28. April eines hochbrisanten Themenkomplexes annimmt.

Auf Einladung von Prof. Dr. Thede Kahl, der die Professur für Südslawistik innehat, und seiner Mitarbeiterin Dr. Tanya Dimitrova werden Slawisten, Sozial- und Migrationswissenschaftler aus Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Spanien und Großbritannien die Migrationsbewegungen von und nach Bulgarien während der vergangenen beiden Jahrzehnte in den Blick nehmen. Untersucht werden sollen post-sozialistische Migrationsbewegungen im Kontext demographischer, wirtschaftlicher und sozialer Veränderungen. „Schwerpunkte bilden die Untersuchung soziokultureller Prozesse im Rahmen der Migration sowie Fragen der Spannungen zwischen lokalen und globalen Lebensformen in Regionen von hoher ethnischer und sprachlich-kultureller Vielfalt und Komplexität“, erläutert Prof. Kahl.

Analysiert werden sollen hierbei Phänomene wie Kultur- und Sprachkontakt, demographischer Wandel, interethische Koexistenz, Assimilation, Euroskeptizismus, interkulturelle Konflikte sowie der sogenannte „brain drain“ – also die Abwanderung der Gebildeten und gut Ausgebildeten. „Die Elite“, sagt Thede Kahl, „wandert ab nach Westeuropa und Übersee.“ Gemeinsam mit Rumänien, insistiert er, habe Bulgarien den höchsten Bevölkerungsrückgang in Europa zu verzeichnen – nämlich von achteinhalb auf knapp sieben Millionen Menschen. So verlassen Bulgaren ihre Heimat bevorzugt in Richtung Frankreich, Italien, Skandinavien, Deutschland, Spanien. Sei vor der Eurokrise Griechenland für Bulgaren interessant gewesen, um dort eine Zeit lang zu arbeiten, aber dann wieder in die Heimat zurückzukehren, gehe der Trend nun in westlichere und nördlichere Länder, was die Wahrscheinlichkeit der Rückkehr deutlich schmälere.

„Aus ethnologischer Perspektive fällt im Fall Bulgariens schnell auf, dass die ersten Migrationen nach der ,Wende‘ sehr stark von den Minderheiten wie Roma, Türken, Pomaken und Sarakatschanen ausgingen“, erläutert Kahl. Dies sei „ein Faktor, der nicht zu unterschätzen ist, wenn es um die Integration in den Herkunfts- und Aufnahmeländern geht sowie um die Außenwirkungen der jeweiligen Migrationsbewegungen.“

Bulgarien, erklärt Prof. Kahl, habe sich seit einigen Jahren für eine wachsende Zahl von Personen auch zum Einwanderungsland entwickelt – vornehmlich für Menschen aus wirtschaftlich schwächeren Ländern Asiens und Afrikas, gleichsam als Einzugstor Europas. Die Abwanderung sei jedoch erheblich höher, woraus sich ernsthafte Probleme für Gesellschaft und Wirtschaft Bulgariens ergeben.

Ziel sei es, so Thede Kahl, zum einen zu dem Wissen über Migration aus und nach Bulgarien beizutragen. Zum anderen aber erhoffen sich die Initiatoren auch, einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen Integration neuzugewanderter Bevölkerungsgruppen leisten zu können. Der Jenaer Slawist hofft, dass während der Tagung Erarbeitetes mittelfristig umgesetzt werden kann. Bildungsmöglichkeiten spielen hier eine große Rolle. Zwar gebe es in Bulgarien die allgemeine Schulpflicht, diese würde aber nicht zu einhundert Prozent umgesetzt. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf türkische Minderheiten oder Roma, für die in ganzen Stadtteilen Sofias sowie in ländlichen Regionen kein ausreichend gutes Bildungsprogramm existiere.

Die Konferenz richtet sich nicht nur an Studierende, Doktoranden und Dozenten verschiedener Disziplinen; geladen sind unter anderem auch diplomatische Vertreter Bulgariens und bulgarische Intellektuelle, die in Thüringen leben.
Das Programm der Tagung ist zu finden unter:
http://www.slawistik.uni-jena.de/tl_files/tl_files/Tagung/Program_conference_Jena.pdf

Kontakt:
Prof. Dr. Thede Kahl
Institut für Slawistik der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Ernst-Abbe-Platz 8
07743 Jena
Tel.: 03641 / 944725
E-Mail: thede.kahl[at]uni-jena.de

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Constanze Alt idw

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