Geschlechterrollen und Migrationsklischees an Berliner Schulen

Traditionell interessieren sich Mädchen und junge Frauen in Deutschland nicht sehr für sogenannte MINT-Berufe, Berufe, die auf Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik beruhen.

Das soll sich jetzt ändern. „Komm, mach MINT“ ist auch das Motto des Paktes zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien, der das Bild dieser Berufe in Deutschland verändern soll. Er soll insbesondere junge Frauen für naturwissenschaftliche und technische Studiengänge begeistern. „Die meisten dieser Programme setzen allerdings zu spät an“, findet TU-Professorin Dr. Angela Ittel.

„Es ist schwierig, eine Abiturientin, die geisteswissenschaftliche Fächer als Leistungskurse belegt hat, noch für Naturwissenschaften zu begeistern“, erklärt die Wissenschaftlerin, die das Fachgebiet Pädagogische Psychologie am Institut für Erziehungswissenschaft der TU Berlin leitet. Mit ihrem neuem Forschungsprojekt „Gender, Migration und Schule“ – kurz GeMiS – setzt sie früher an. Sie untersucht die Einstellungen von Lehrern, Eltern und Schülern der Sekundarstufe I – bis zur 10. Klasse – zu typischen Geschlechterrollen und Migrationsklischees an Berliner Schulen.

Von der Bereicherung, die Frauen in naturwissenschaftlichen und technischen Berufen darstellen können, ist Ittel überzeugt: „Eine Frau hat einfach einen anderen Blick zum Beispiel bei der Entwicklung von neuen Produkten. Eine Ingenieurin würde zum Beispiel eher sichere und bequeme Sicherheitsgurte für Schwangere entwickeln als ihr männlicher Kollege.“ Nicht nur die Bereiche-rung durch solche neue Perspektiven und ein drohender Fachkräftemangel in den MINT-Berufsbereichen sprächen Ittel zufolge für eine verstärkte För-derung von Schülerinnen in MINT-Fächern. Mit einer stärkeren Konzentration auf mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer hätten Schülerinnen auch insgesamt bessere Chancen auf einen Ausbildungsplatz.

Im ersten Teil des GeMiS-Projektes wird Grundlagenforschung betrieben: Anhand von Fragebögen ermitteln die TU-Wissenschaftler, wie bestimmte Themen in der Schule behandelt werden. Auch wird geprüft, was Lehrer über MINT-Themen wissen und wie sie vermitteln, welche Möglichkeiten ein technisches oder naturwissenschaftliches Studium bietet und welche konkreten Tätigkeiten später damit ausgeübt werden können. „Wir wollen erfahren, welche subtilen Vorurteile herrschen und wie sich diese manifestieren“, umreist Ittel eines ihrer Forschungsziele. Agieren männliche und weibliche Lehrer Mädchen und Jungen gegenüber gleich? Wie werden MINT-relevante Themen im Klassenzimmer aufgearbeitet und werden Jungen und Mädchen dadurch gleichermaßen angesprochen? „Lehrerinnen und Lehrer sind meist davon überzeugt, dass sie sich egalitär verhalten. Wir vermuten jedoch, dass viele Verhaltensweisen im Klassenraum unbewusst ablaufen. Deshalb werden wir im anwendungsorientierten Teil des Projektes den Unterricht auf Video aufnehmen, um typische Verhaltensweisen und stereotypisierende Unterrichtsgestaltung erkennen zu können“, erklärt Ittel weiter. Anhand der Auswertung der Grundlagenstudie werden dann Anregungen formuliert und Konzepte entwickelt, die in die Lehrerbildung einfließen sollen.

„Bei Schülern mit Migrationshintergrund schlummern große Potenziale. Hier wollen wir spezielle Handlungsleitfäden entwickeln, um diese Gruppe besser fördern zu können und den Jugendlichen zu einem besseren Schulabschluss zu verhelfen.“ Schülerinnen und Schüler aus sogenannten Brennpunktgebieten in Berlin wurden beispielsweise mit Fragen nach ihrem Geschlechterrollenverständnis konfrontiert. Erste Auswertungen zeigen, dass Schulkinder mit Migrationshintergrund generell zwar eine konservativere Einstellung haben als ihre deutschen Mitschüler, Mädchen nicht-deutscher Herkunft jedoch oft liberaler in Bezug auf Geschlechterrollen denken als deutsche Jungen. „Ein weiteres Ergebnis unserer Studie ist es, dass Mädchen mit Migrationshintergrund zwar ein höheres Selbstkonzept besitzen, also sich in ihren Leistungen im naturwissenschaftlichen Unterricht besser einschätzen als deutsche Schülerinnen; jedoch können deutsche Schülerinnen durchweg die besseren Noten als ihre Mitschülerinnen mit Migrationshintergrund vorweisen.“

„Es gibt viel Handlungsbedarf. Glücklicherweise haben wir aber auch bei allen Lehrerinnen und Lehrern, mit denen wir bislang kooperiert haben, festgestellt, dass es eine hohe Akzeptanz und Aufgeschlossenheit gegenüber der Sensibilisierung für einen geschlechter- und migrationsneutralen Unterricht gibt“, sagt Prof. Dr. Angela Ittel, deren Team derzeit erste Auswertungen aus dieser Studie vorlegt, die die Grundlage für die Entwicklung der Lehrerfortbildung sein werden.

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern: Prof. Dr. Angela Ittel, Institut für Erziehungswissenschaft, Technische Universität Berlin, Tel.: 314-73209/-73524, E-Mail: angela.ittel@tu-berlin.de

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