Wohlstand hat viele regionale Gesichter

Kleine und mittlere Unternehmen leisten wichtige Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung und zum Wohlstand ihrer Region / Forschungsprojekt untersucht Möglichkeiten und Hindernisse am Beispiel der ökologischen Land- und Ernährungswirtschaft in Brandenburg und Berlin / Was ist Wohlstand? Ökologische, soziale und kulturelle Aspekte ergänzen die wirtschaftliche Betrachtung.

„Ich bin die Mark durchzogen und habe sie reicher gefunden, als ich zu hoffen gewagt hatte.“ Was Theodor Fontane im Vorwort zu den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ schrieb, könnte auch als Motto über einem Forschungsprojekt der Technischen Universität Berlin stehen. Die Forscherinnen am Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der TU Berlin und am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin untersuchen, welchen Beitrag kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus der ökologischen Land- und Ernährungswirtschaft zu nachhaltiger Entwicklung und zum regionalen Wohlstand der Region Berlin-Brandenburg leisten.

Die Region zwischen Spreewald, Uckermark oder Märkischer Schweiz lockt einerseits mit Attraktionen in Natur und Tourismus, sorgt andererseits aber mit hohen Arbeitslosen- und Abwandererzahlen für negative Schlagzeilen. Aktivitäten und Leistungen, die Öko-Betriebe im regionalen Umfeld erbringen, tragen nach Erkenntnis des Projektes dazu bei, soziale Beziehungen im ländlichen Umfeld zu unterstützen, den Natur- und Umweltschutz zu fördern, die Beziehung zwischen Stadt und Land zu vertiefen, regionale Identität zu stiften und die Lebensqualität zu erhöhen, zum Beispiel durch qualitativ hochwertige und gesunde Produkte. Das Projekt wird im Rahmen des Schwerpunktes „Sozial-ökologische Forschung“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

In einer Umfrage, die 330 KMU aus der ökologischen Landwirtschaft, der verarbeitenden Industrie und dem Handel in Berlin-Brandenburg beantworteten, sowie durch Fallstudien an beispielhaften Netzwerken haben die Forscherinnen Informationen über die Aktivitäten gewonnen. Dabei beschränken sie sich nicht auf die rein wirtschaftlichen Beiträge der Unternehmen zur Region, sondern beziehen auch soziale, ökologische und kulturelle Aspekte von „Wohlstand“ in die Untersuchungen ein. Öko-Landwirte bewirtschaften in Brandenburg inzwischen knapp zehn Prozent der genutzten Fläche; die Branche spielt gesamtwirtschaftlich allerdings eine eher untergeordnete Rolle. Sie ist jedoch auf weiteren Feldern – Naturschutz, Tourismus, Direktvermarktung, soziales Engagement, Wissensvermittlung – aktiv, wenn auch von Betrieb zu Betrieb in unterschiedlichem Ausmaß.

Dieses Engagement zeigt sich etwa darin, dass viele landwirtschaftliche Betriebe im Naturschutz über die gängigen Richtlinien hinausgehen und die natürliche Artenvielfalt durch das Anlegen von Hecken oder Feuchtbiotopen fördern. Weiterhin wird die Kulturlandschaft durch die extensive Haltung von Nutztieren bewahrt oder „alte“ Nutztierarten und Pflanzensorten wie das Bentheimer Schwein oder der Champagner Roggen kultiviert.

Eine wichtige Rolle kommt den Bio-Betrieben auch bei der „Kontakt-Pflege“ zwischen Stadt und Land, sprich der Großstadt Berlin und seinem brandenburgischen Umland zu. Auf Wochenmärkten oder auch mit „Abokisten“ – eine Produktauswahl, die im Abonnement angeliefert wird – werben die Brandenburger Unternehmen in Berlin für die Produkte der Region und laden gleichzeitig die Städter zu Besuchen in den brandenburgischen Gemeinden ein. Hoffeste, Märkte, Verkostungen und andere Veranstaltungen, die über „leibhaftige Landwirtschaft“, über regionale Produkte und deren saisonale Verfügbarkeit oder über gesunde Ernährung informieren, werden von Betrieben in der Landwirtschaft, im Handel und in der Verarbeitung angeboten. Die Möglichkeit „life“ mitzubekommen, wie man Brot oder Kuchen backt oder wie Bio-Schweine gehalten werden, stößt vor allem bei Berliner Schulen auf wachsendes Interesse – eine wichtige Zielgruppe angesichts der Tatsache, dass ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen fehlernährt ist.

Die Forscherinnen der TU Berlin und des DIW Berlin sehen jedoch noch eine Reihe von Barrieren, die das Engagement und die Aktivitäten behindern. „Das Land Brandenburg hat in der Vergangenheit Entwicklungschancen oft nur in Großprojekten gesehen“, konstatiert die Projektleiterin Professor Martina Schäfer: „Es wäre für die regionale Entwicklung aber hilfreich, wenn man in den Verwaltungen das Engagement vor Ort, sozusagen die „menschlichen Leuchttürme“ aktiver unterstützen würde.“ Das reiche von Öko-Höfen, die sich mit ihrer umweltfreundlichen Produktion auf den westdeutschen Markt spezialisiert haben, bis zu vielfältigen Kombinationen aus Direktvermarktung, Verarbeitung, Tourismus, Naturerlebnis und Informationsvermittlung über Landwirtschaft und gesunde Ernährung. Erhebliches Potential besteht außerdem in der Unterstützung von Existenzgründungen im Bereich der Verarbeitung – so wird bisher nur ein kleiner Teil des in Brandenburg produzierten Fleischs oder der erzeugten Milch im Land selbst weiterverarbeitet.

Die Ergebnisse des Projektes sind nach Ansicht der Sozialwissenschaftlerin gute Beispiele dafür, wie kleine und mittlere Unternehmen und das Engagement der Menschen vor Ort in eine nachhaltige Regionalentwicklung einbezogen werden können. So kann Brandenburg einen Reichtum nachweisen, den manche dort vielleicht nicht vermutet hätten. Und, wie Fontane schrieb: „Das Beste aber, dem du begegnen wirst, das werden die Menschen sein.“

Ergebnisse dieses Forschungsprojektes werden auf dem Kongress „Impulse für Landwirtschaft und Ernährung – Ergebnisse der sozial-ökologischen Forschung“ vorgestellt, der am 17. und 18. Januar 2006 im Harnack-Haus in Berlin stattfindet. Zu dieser Veranstaltung erscheint eine Ergebnis-Broschüre des Projekts mit zahlreichen Beispielen.

Projekttitel: „Regionaler Wohlstand – neu betrachtet“

Beteiligte Institutionen:
– Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG), Technische Universität Berlin
– Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin

Kontakt:
Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer, ZTG, Technische Universität Berlin,
Tel. 030-314-26854, E-mail: schaefer@ztg.tu-berlin.de

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Dr. Andreas Zehm idw

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