Studie: Aufsichtsräte greifen zu wenig in Firmenentscheidungen ein

Macht und Einfluss – dies wird häufig mit einer Position im Aufsichtsrat verbunden. Doch eine Studie an der Universität Dortmund zeigt: Aufsichtsräte in Deutschland üben zu wenig Kontrolle aus. Werden Entscheidungen vielfach nur abgenickt und nicht – wie es der Funktion der Mitglieder entspräche – kritisch begleitet?

Für die Studie haben die Wirtschaftswissenschaftler Prof. Martin Welge und Dr. Philip Grothe 46 Aufsichtsräte großer deutscher Unternehmen befragt. Zu den Interviewten gehörten u.a. bekannte Personen wie Rolf Breuer (Deutsche Bank), Ulrich Hartman (Eon) und Hilmar Kopper (DaimlerChrysler) sowie Arbeitnehmervertreter.

Um Krisen zu vermeiden, soll der Aufsichtsrat den Vorstand überwachen, Fehlentscheidungen verhindern und den bestmöglichen Einsatz von Kapital und Ressourcen garantieren. So weit die Theorie. Die Praxis zeigt, dass Ratsmitglieder nicht immer an zukunftsweisenden Entscheidungen beteiligt sind, sondern sich meist nur die Ergebnisse ansehen. „Sie fragen nur nach dem, was war. Sie fragen nicht nach dem, was im Unternehmen gerade läuft und geplant wird“, so Prof. Welge vom Dortmunder Lehrstuhl für Unternehmensführung.

Überraschenderweise spielten wertorientierte Kennzahlen wie z.B. Wertbeiträge der Teileinheiten, Cash-Flow und der Unternehmenswert bei der Beurteilung der Unternehmensstrategie eine untergeordnete Rolle. Traditionelle Kennzahlen des Rechnungswesens sind nach wie vor dominant. Die Ergebnisse seien ernüchternd. „Wir hätten mehr professionelles Handeln erwartet – immerhin handelt es sich im Top-Unternehmen“, betont Welge.

Droht eine Unternehmenskrise, reagiert der Aufsichtsrat – wenn überhaupt – viel zu spät. Deshalb folgern die Forscher, dass es vor allem ein „reaktives, unbewegliches und mit massiven zeitlichen Problemen behaftetes Gremium ist, das den Anforderungen einer wirksamen Unternehmensüberwachung in diesem Punkt eindeutig nicht gerecht wird.“

Externe Informationsquellen wie Mitteilungen von Branchenverbänden, Analystenberichte oder Geschäftsberichte von Mitbewerbern werden kaum genutzt. Fließen hingegen ausreichend Informationen zwischen den einzelnen Mitgliedern? Schon vor der eigentlichen Sitzung kommt es zu informellen Vorgesprächen (auch „Bänkegespräche“). Hier spielt Vertrauen, aber auch Kontrolle eine wichtige Rolle. Grundsätzliche Kompetenzunterschiede gibt es zudem innerhalb des Gremiums. Arbeitnehmervertreter seien oft „zu wenig professionalisiert, um wirklich mitbestimmen zu können.“

In der Studie werden demnach folgende Problembereiche ermittelt: Der Aufsichtsrat arbeitet zu vergangenheitsorientiert, zu stark nach innen gerichtet und zu passiv.

Die Dortmunder Wissenschaftler empfehlen, mehr Experten von außen und internationale Fachkräfte in das Gremium aufzunehmen. Außerdem sei darauf zu achten, dass weniger Ex-Vorstände in den Aufsichtsrat wechselten, denn dadurch entstünden Interessenskonflikte. Die Einrichtung eines Ausschusses, der sich intensiv mit der strategischen Planung des Vorstands befasst, könnte aus der Sicht der Fachleute dazu beitragen, die derzeitige Situation erheblich zu verbessern.

Darüber hinaus weisen die Wirtschaftswissenschaftler darauf hin, dass Unterlagen wie der Jahresabschluss im Informationswert massiv überschätzt werden. Externe Informationsquellen dagegen vermeiden eine zu starke „Abhängigkeit“ vom Vorstand.

Kontakt:
Prof. Dr. Martin K. Welge, Ruf: 02 31/7 55 – 31 48,
E-Mail: m.welge@wiso.uni-dortmund.de

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Ole Lünnemann idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-dortmund.de/

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