Im tropischen "Nebelwald" Ecuadors


Bergregenwälder gehören zu den artenreichsten Regionen der Erde: Hier leben so viele Tier- und Pflanzenarten pro Quadratkilometer wie an kaum einem anderen Ort. Zugleich werden tropische Bergregenwälder durch Abholzung und Brandrodung dramatisch zerstört. Die Zeit drängt, will man diese Ökosysteme verstehen lernen – und damit auch ihren Wert für die Länder, in denen sie vorkommen. In zwanzig Forschungsprojekten wollen Botaniker, Zoologen, Bodenkundler, Forstwissenschaftler, Geographen und Klimaforscher das Ökosystem Bergregenwald enträtseln. Die Wissenschaftler von insgesamt zehn deutschen Universitäten und Forschungsmuseen arbeiten zusammen im Rahmen der Forschergruppe "Funktionalität in einem tropischen Bergregenwald Ecuadors: Diversität, dynamische Prozesse und Nutzungspotenziale unter ökosystemaren Gesichtspunkten", die nun von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingerichtet wurde.

Die neue Forschergruppe baut auf Ergebnissen von bislang elf Projekten der Grundlagenforschung auf, die von der DFG in den vergangenen Jahren mit knapp 3,5 Millionen Mark gefördert wurden. Dabei wurde ein erheblicher weiterer Forschungsbedarf deutlich. Erstmals werden im Rahmen der Forschergruppe nun auch stärker anwendungsorientierte Disziplinen, zum Beispiel die Forstwissenschaften, mitarbeiten. Die neue DFG-Forschergruppe versucht, "an einem modellhaft ausgewählten Waldgebiet in den Anden Süd-Ecuadors in einem breiten interdisziplinären Ansatz gänzlich neue Wege zu gehen", so auch der Sprecher der Forschergruppe Professor Konrad Fiedler von der Universität Bayreuth. Ideale Voraussetzungen bietet den Forschern die im südecuadorianisch-peruanischen Grenzgebiet gelegene Forschungsstation "San Francisco" – eine Station im Urwald, unwegsam im steilen Gelände, in unmittelbarer Nähe zum 15 000 Hektar großen Podocarpus-Nationalpark. Das Besondere für die wissenschaftliche Arbeit im tropischen Bergwald, der auch als "Nebelwald" bekannt ist: Die gemeinnützige Stiftung Fundación Científica San Francisco unterstützt die deutschen Wissenschaftler vor Ort und die Kooperation mit Universitäten und Forschern des Gastlandes.

Forschergruppen werden – in der Regel auf sechs Jahre – dort eingerichtet, wo ein zwar kleines, aber besonders bedeutungsvolles Themengebiet die interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordert. Das Programm soll dazu beitragen, neue Arbeitsrichtungen zu etablieren, die in Deutschland bislang nicht oder nur unzureichend vertreten sind.

Ziel der Wissenschaftler ist es, mit Hilfe tausender von Boden-, Wasser-, Pflanzen- und Tierproben wichtige geowissenschaftliche und biologische Eigenschaften des Bergregenwaldes zu erfassen – zum Beispiel Klima- und Bodendaten, Merkmale der Pflanzen- und Tierarten und ihrer Lebensgemeinschaften. In einem zweiten Schritt wollen die Forscher die Funktionsweise wichtiger Teilsysteme – etwa das Zusammenleben von Pflanzen und Tieren oder Wechselwirkungen zwischen Vegetation, Boden und Atmosphäre – untersuchen, um daraus Schlussfolgerungen für den nachhaltigen Schutz des Bergregenwaldes zu ziehen.

Bislang fanden die Forscher in der unmittelbaren Umgebung der Forschungsstation mehr als 1500 verschiedene Pflanzenarten. Wie angesichts dieser immensen Artenvielfalt Pflanzengemeinschaften des Bergregenwaldes nur anhand von einigen Merkmalen an ihrem Standort zu charakterisieren sind, untersucht Professor Klaus Müller-Hohenstein von der Universität Bayreuth. Allein auf Merkmale wie Blattform und -größe oder die "Wuchsarchitektur" der Bäume konzentriert sich der Biogeograph. So ist es Professor Müller-Hohenstein und seinen Mitarbeitern gelungen, erstmals Vegetationseinheiten im Bergwald wissenschaftlich zu beschreiben. Auf diesem Wege kann auf die zeitraubende artgenaue Bestimmung der einzelnen Pflanzen verzichtet werden.

Um die artgenaue Erfassung von Tiergemeinschaften geht es dagegen dem Tierökologen Professor Konrad Fiedler. Er beschäftigt sich mit Schmetterlingen, die als pflanzenfressende Insekten eine wichtige Rolle im Bergregenwald spielen. In der Nähe der Forschungsstation konnte er allein über siebenhundert Nachtschmetterlinge aus der Familie der spannerartigen Nachtfalter aufspüren. "Das sind mehr als 70 Prozent des Artenbestandes ganz Europas", resümiert Professor Fiedler, "aber auch im Vergleich zur Tropeninsel Borneo mit ihren 1000 Arten ist die Artendichte in Südecuador rekordverdächtig." Mittels moderner rechnergestützter Auswertungsmethoden können neue Zusammenhänge zwischen den Nachtschmetterlingen und ihrer Lebensumwelt im tropischen Bergregenwald erkannt werden.

Erst wenn es den Wissenschaftlern verschiedener Fachdisziplinen gelingt, die Gesamtfunktion des Regenwaldes aufzuklären, wird man zukünftig in der Lage sein, steuernd einzugreifen und das artenreiche Ökosystem Bergregenwald zu erhalten. Noch ist in Ecuador die jährliche Entwaldungsrate nach aktuellen UN-Angaben eine der höchsten ganz Lateinamerikas.

Weitere Informationen gibt der Sprecher der Forschergruppe, Prof. Dr. Konrad Fiedler, Lehrstuhl Tierökologie I der Universität Bayreuth, Tel.: 0921/55 2645, E-Mail:  konrad.fiedler@uni-bayreuth.de.

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Dr. Eva-Maria Streier idw

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