Kaltwasser-Korallenriffe – Leben am Ökologischen Limit

Das Expeditionsgelände des Forschungsschiffs Alkor und die untersuchten Riffe. Zwei davon waren bereits bekannt. Abbildungen: Institut für Paläontologie

Unter ungewöhnlichen und ungemütlichen Bedingungen wachsen Kaltwasserriffe, die vor kurzem im norwegisch-schwedischen Grenzgebiet im Skagerrak neu entdeckt wurden. Teilnehmer einer Expedition mit dem Kieler Forschungsschiff Alkor fanden Ansiedlungen der weißen Lophelia, die als Tiefseekoralle bekannt ist und noch in 1.000 Metern Meerestiefe gut gedeiht, in einem Bereich von nur 80 bis 120 Metern unter der Meeresoberfläche, wo das Leben für diese Blumentiere nicht einfach ist. Mit an Bord des Schiffs waren Prof. Dr. André Freiwald vom Institut für Paläontologie der Universität Erlangen-Nürnberg und seine Mitarbeiter, die an einem internationalen Verbundprojekt der Europäischen Forschungsgemeinschaft beteiligt sind.

Untersuchungsgebiet war die kaum erforschte Schärenlandschaft am Eingang des Oslo-Fjordes. Die Gletscher der letzten Eiszeit hinterließen hier eine bizarre Landschaft über und unter dem Meeresspiegel mit unzähligen, bis heute nur wenig kartierten Untiefen. Stürmisches Wetter hätte dem schwedisch-deutschen Forscherteam in den engen Fahrwassern sehr zu schaffen machen können. Trotz der späten Jahreszeit erlaubte das Klima jedoch Arbeiten in der schwimmenden Forschungsstation rund um die Uhr. Mit einem Fächerecholot wurde der Meeresboden in der Hoffnung abgetastet, die für Korallenriffe typischen Strukturen abzubilden, denn Fischer hatten wiederholt von lebenden Korallen in ihren Netzen berichtet.

Tatsächlich tauchten auf dem Computermonitor regelmäßige langgesteckte Formen auf, ähnlich denen, die Prof. Freiwald an vielen Stellen der Tiefsee am nordwesteuropäischen Kontinentalrand gefunden hatte – nur diesmal in viel geringeren Tiefen. Ein mit Kamera ausgestatteter Tauchroboter bestätigte die Vermutung: es handelte sich um Siedlungen von lebenden Korallen. Drei solcher Riffe entdeckte die Besatzung der Alkor im Skagerrak. Mit Greifinstrumenten, die Proben sammelten, und Sonden zur Wasseranalyse vervollständigten die Forscher ihre Informationen.

Die Lophelia-Kolonien haben nur einen äußerst engen Lebensraum zur Verfügung. Brackwasser aus der Ostsee, das unverträglich für die Korallen ist, fließt als obere Strömung in Richtung Atlantik. Es wirkt wie ein Deckel an der Meeresoberfläche. Darunter ragt eine dünne Wasserzunge als Tiefenstrom vom atlantischen Ozean in das Skagerrak hinein. Nur in dieser schmalen Nische können die Kaltwasserkorallen siedeln.

Das Leben der Korallen am ökologischen Limit hat mit erdgeschichtlichen und klimatischen Veränderungen zu tun. Vor etwa 10.000 Jahren schmolz der skandinavische Eispanzer vergleichsweise rasch ab. Infolgedessen hob sich der Untergrund des Oslo-Region um fast einen Kilometer. Die lebenden Riffe stiegen mit dem Meeresboden nach oben. Wenn diese Tendenz anhält, bedeutet dies das Ende der Korallen im Oslo-Fjord – nicht durch menschliche Eingriffe bedingt, sondern durch eine geologische Entwicklung. Bereits abgestorbene Riffkomplexe, von riesigen Schwämmen überzogen, zeigen, wie dieses Ende aussehen könnte.

André Freiwald und seine Mitarbeiter sind sicher, dass die Proben, die im Verlauf der Expedition genommen wurden, helfen werden, die spannende Geschichte eines Riffgebiets vom Ausgang der letzten Eiszeit bis zum natürlichen Vergehen zu entschlüsseln. Bilder von der Fahrt der Alkor und weitere Einzelheiten sind im Internet abrufbar.

Weitere Informationen: Prof. Dr. André Freiwald, Institut für Paläontologie, Tel.: 09131/85 -26959, Email: andre.freiwald@pal.uni-erlangen.de

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Gertraud Pickel idw

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