Von Blechbauteilen bis Wirtszellen: DFG richtet zehn weitere Sonderforschungsbereiche ein

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) richtet zum 1. Januar 2009 zehn weitere Sonderfor-schungsbereiche (SFB) ein. Sie sollen mit insgesamt etwa 90 Millionen Euro für zunächst vier Jahre gefördert werden.

Die neuen SFB befassen sich unter anderem mit der Krankheitsentstehung durch Viren und Bakterien, mit Vernarbungen in Leber und Niere und mit der menschlichen Haut. Weitere Themen sind die Optimierung von Planungs-, Produktions- und Nutzungsprozessen im Leichtbau und die Verbesserung der Kommunikation zwischen Menschen und technischen Systemen. Unter den zehn Einrichtungen befinden sich vier SFB/Transregio, die auf mehrere Standorte verteilt sind.

Neben den Einrichtungen beschloss der zuständige Bewilligungsausschuss von Deutschlands zentra-ler Forschungsförderorganisation auch die Fortsetzung von 28 SFB für eine weitere Periode. Damit fördert die DFG ab Anfang kommenden Jahres 250 Sonderforschungsbereiche. Sie erhalten 2009 rund 480 Millionen Euro einschließlich der 20-prozentigen Programmpauschale für indirekte Kosten, die sich aus den Forschungsprojekten ergeben.

Die Herbstsitzung des Bewilligungsausschusses stand nicht zuletzt im Zeichen des 40-jährigen Jubi-läums der Sonderforschungsbereiche: Im Herbst 1968 wurden die ersten 18 SFB eingerichtet – mit einer Fördersumme von insgesamt 4,4 Millionen Mark. Diese neue Form der Forschung im Verbund sei eine „kleine Revolution“ gewesen, erinnerte DFG-Präsident Professor Matthias Kleiner in einer Jubiläumsrede vor dem Bewilligungsausschuss. An den Hochschulen und auch in der DFG, so Klei-ner, hätten die SFB anfangs durchaus Befürchtungen ausgelöst – 40 Jahre später hätten sie die in sie gesetzten Erwartungen mehr als erfüllt. „Mit Sonderforschungsbereichen können Hochschulen ihre Ressourcen bündeln, lokale Schwerpunkte schaffen und Spitzenforschung fördern“, unterstrich der DFG-Präsident. Vor allem ihre konzentrierte Qualität, ihr fächerübergreifender Ansatz und der lange Atem einer bis zu 12-jährigen Förderung machten die SFB zu einem „Programm messbarer Spitzen-forschung“. Auch zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, zur internationalen For-schungskooperation und zum Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft trügen die SFB und ihre Varianten der Transregio und Transferprojekte bei. Fazit des DFG-Präsidenten nach 40 Jahren Sonderforschungsbereiche: „Um dieses Programm beneidet uns die ganze Welt.“

Die neuen Sonderforschungsbereiche im Einzelnen:
(in der alphabetischen Reihenfolge ihrer Sprecherhochschulen)
Mit einem wissenschaftlich und klinisch hochbedeutsamen Thema befasst sich der SFB/Transregio 57 „Organfibrosen: Von den Mechanismen der Schädigung zur Beeinflussung der Erkrankung“. In ihm wenden sich Forscherinnen und Forscher an mehreren Standorten den Fibrosen, also der krank-haften Vermehrung von Bindegewebe, in der Leber und der Niere zu. Derartige Vernarbungen neh-men häufig einen tödlichen Ausgang und sind zudem mit hohen Behandlungskosten verbunden. Der neue SFB/Transregio will die noch weitgehend unbekannten pathophysiologischen Grundlagen fibro-tischer Erkrankungen entschlüsseln. Dabei geht es speziell um die Identifizierung gemeinsamer mo-lekularer Mechanismen in Niere und Leber. Erst auf dieser Grundlage ist die Entwicklung von inno-vativen Therapien denkbar. (Sprecherhochschulen: Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen; Sprecher: Professor Christian Trautwein; weitere antragstellende Hochschule: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; weitere beteiligte Hochschule: Universität des Saarlandes, Saarbrücken.)

Die nähere Erforschung von besonderen Molekülen, Atomen und Ionen mit ungepaarten Elektronen steht im Mittelpunkt des SFB 813 „Chemie an Spinzentren – Konzepte, Mechanismen, Funktionen“. Die sogenannten Spinzentren weisen außergewöhnliche magnetische Eigenschaften und eine hohe chemische Reaktivität auf; beides könnte für die Entwicklung neuartiger Materialien von größter Be-deutung sein. Die beteiligten Forscherinnen und Forscher an der Universität Bonn und am For-schungszentrum Jülich wollen unter anderem neue theoretische und experimentelle Methoden zum Studium von Spinzentren erarbeiten und die Mechanismen ihrer Transformation verstehen. Die so erzielten Erkenntnisse sollen für die Entwicklung neuer Reaktionen und multifunktionaler Materia-lien genutzt werden. (Sprecherhochschule: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; Spre-cher: Professor Frank Neese; weitere beteiligte Institution: Forschungszentrum Jülich)

Die „Beherrschung von Unsicherheit in lasttragenden Systemen des Maschinenbaus“ ist das Thema des neu eingerichteten SFB 805. In ihm befassen sich Ingenieurwissenschaftler verschiedener Fach-richtungen und Mathematiker mit dem Thema „Unsicherheit“, das im Maschinenbau in allen Phasen der Entwicklung, Produktion und Nutzung von Produkten auftritt und gravierende wirtschaftliche und sicherheitstechnische Folgen haben kann. Dies gilt vor allem für lasttragende Systeme im Leichtbau, die hohe Tragfähigkeit, geringes Gewicht und niedrige Produktionskosten verbinden sollen. Anhand eines besonders komplexen Flugzeugfahrwerks will der SFB klären, wie sich Unsicherheit und die daraus resultierenden Fehleinschätzungen beherrschen lassen. Dies soll helfen, die Planungs-, Pro-duktions- und Nutzungsprozesse zu optimieren. (Sprecherhochschule: Technische Universität Darm-stadt; Sprecher: Professor Holger Hanselka; weitere beteiligte Institution: Fraunhofer-Institut für Be-triebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit, Darmstadt)

Wie Krankheiten durch Viren und Bakterien entstehen – zu dieser zentralen medizinischen Frage will der SFB 796 „Steuerungsmechanismen mikrobieller Effektoren in Wirtszellen“ neue grundlegende Erkenntnisse erarbeiten. Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen dabei die molekularen Mechanismen der Krankheitsentstehung in den Blick. Ihr besonderes Augenmerk gilt den strukturellen und molekularen Grundlagen und Mechanismen der Interaktion zwischen Virulenz-faktoren und Wirtsfaktoren. Indem er sowohl pflanzliche als auch humane Untersuchungssysteme miteinbezieht, will der SFB ein möglichst breites Spektrum möglicher Wechselwirkungen zwischen beiden Bereichen abdecken. Darüber hinaus sollen neue Virulenzfaktoren wie zum Beispiel die Pro-tease untersucht werden. In der Gesamtschau sollen somit universelle wie auch spezielle Mechanis-men der Entstehung von Krankheiten erkannt werden. (Sprecherhochschule: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen; Sprecher: Professor Uwe Sonnewald; Kooperationspartner: Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS, Erlangen)

Die vielfältige Optimierung von Bauteilen aus Blech ist das Ziel des neuen SFB/Transregio 73, der in Erlangen-Nürnberg, Dortmund und Hannover angesiedelt ist. Unter dem Haupttitel „Umformtechni-sche Herstellung von komplexen Funktionsbauteilen mit Nebenformelementen aus Feinblechen – Blechmassivumformung“ wollen die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum ei-nen erforschen, wie sich die Funktionalität und die Komplexität von Blechbauteilen steigern lässt. Dafür müssen wissenschaftliche Grundlagen geschaffen werden, um einen Werkstofffluss nicht nur in der Ebene, sondern auch aus der Blechebene heraus in Feinblechen zu ermöglichen. Zum anderen liegt der Fokus auf der Entwicklung neuer, robuster und flexibler Fertigungsprozesse durch die erst-malige Kombination des Blechumformprozesses mit dem Massivumformprozess. Dadurch sollen sich die benötigten Einzelkomponenten reduzieren und hochbelastbare, gewichtsreduzierte Elemente in kleinen und großen Stückzahlen produzieren lassen. Damit geht es nicht zuletzt um eine erhebliche Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in einem bedeutsamen Produktionszweig. (Sprecherhochschule: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen; Sprecherin: Professorin Marion Merklein; weitere antragstellende Hochschulen: Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, Technische Universität Dortmund)

Die sogenannte Redox-Forschung hat sich bislang vor allem mit der Entstehung und Wirkung von oxidativem Stress in der Ausbildung von Krankheiten befasst. Dagegen ist es ein relativ neues For-schungsgebiet, reaktive Sauerstoffspezies auch als Signalmoleküle zur physiologischen Funktion ei-ner Zelle zu verstehen. Genau hier setzt der SFB 815 „Redox-Regulation: Generatorsysteme und funktionelle Konsequenzen“ an. Ziel ist es, die Rolle von Redox-Signalen in physiologischen Prozes-sen sowie im Übergang zu pathophysiologischen Vorgängen besser zu verstehen. Aus den gewonne-nen Erkenntnissen sollen auch Forschungsansätze für die gezielte Behandlung verschiedenster Er-krankungen gewonnen werden. (Sprecherhochschule: Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main; Sprecher: Professor Bernhard Brüne; weitere beteiligte Institution: Chemotherapeutisches Forschungsinstitut, Georg-Speyer-Haus, Frankfurt am Main)

Gleich mit einer ganzen Reihe hochkarätiger mathematischer Fragestellungen befasst sich der SFB/Transregio 71 „Geometrische Partielle Differentialgleichungen“. In ihm befassen sich Mathema-tiker verschiedener Fachrichtungen und mathematische Physiker mit analytischen Problemen, die sich aus einem geometrischen Kontext ergeben. Dieser kann entweder in der Differentialgeometrie be-gründet sein oder aber Anwendungen betreffen, die eine geometrische Modellierung erfordern. Die geometrischen Fragestellungen stammen unter anderem aus der Geometrischen Maßtheorie und aus der Variationsrechnung. Als besonders bedeutsam könnten sich hier die geplanten Arbeiten zum so-genannten Willmore-Funktional erweisen. Im Bereich der Anwendungen werden Themen etwa aus der Quantendynamik sowie den mathematischen Grundlagen der Festkörperphysik aufgegriffen. Übergeordnetes Ziel ist es, geometrische partielle Differentialgleichungen mit Methoden der Analy-sis, der Numerik und der rechnergestützten Simulation zu studieren und geometrische und physikali-sche Phänomene zu beschreiben. (Sprecherhochschule: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Spre-cher: Professor Ernst Kuwert; weitere antragstellende Hochschule: Eberhard Karls Universität Tübin-gen; weitere beteiligte Hochschule: Universität Zürich)

Die Struktur, Funktion und Dynamik biologischer Membranen fasziniert Wissenschaftler verschie-denster Fachrichtungen schon lange. Membranen sind essenziell für alle Lebensformen, da sie Struk-turen zur Ausbildung von geschlossenen Kompartimenten bereitstellen und so biochemische Reakti-onen in lebenden Zellen von ihrer Umgebung abtrennen. Dennoch ist bisher weitgehend unbekannt, wie die Membranumgebung die Funktion von Membranproteinen beeinflusst und wie Proteine die Membranstruktur auf molekularer Ebene modulieren. Im neu eingerichteten SFB 803 „Funktionalität kontrolliert durch Organisation in und zwischen Membranen“ wollen nun Biologen und Physiker in enger Verknüpfung von Theorie und Experiment quantitative Informationen über das Wechselspiel von Membranlipiden und -proteinen erhalten. So sollen Protein- und Lipidfunktionalitäten vorherge-sagt und allgemeingültige Struktur- und Funktionsmotive identifiziert werden. Auf diese Weise soll ein besseres Verständnis der dynamischen Prozesse biologischer Membranen ermöglicht werden. (Sprecherhochschule: Georg-August-Universität Göttingen; Sprecherin: Professorin Claudia Steinem, weitere beteiligte Institution: Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen)

Mit der menschlichen Haut und ihrer Funktion als Schutzschild beschäftigt sich der neu eingerichtete SFB 829. Unter dem Titel „Molecular Mechanisms Regulating Skin Homeostatis“ wollen die betei-ligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Kommunikation der verschiedenen Komponen-ten untersuchen, die zur Barrierefunktion der Haut zum Schutz gegen externe Schädigungen beitra-gen. Im Umkehrschluss sollen damit auch die molekularen Mechanismen weiter geklärt werden, die das Gleichgewicht stören und damit zu chronisch entzündlichen und allergischen Erkrankungen oder etwa zu Wundheilstörungen führen können. Diese Untersuchungen sollen es letztlich ermöglichen, neue therapeutische Ansätze zu entwickeln, mit denen sich sehr gezielt in die gestörten Stoffwech-selwege eingreifen lässt, die zu diesen Erkrankungen führen. Damit sind die Arbeiten des SFB in ih-rer Langzeitperspektive auch von erheblicher medizinischer und klinischer Bedeutung. (Sprecher-hochschule: Universität zu Köln; Sprecher: Professor Thomas Michael Krieg; weitere beteiligte Hochschule: Deutsche Sporthochschule Köln; weitere beteiligte Institution: Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Köln)

Wie sich die Kommunikation zwischen dem Menschen und technischen Systemen verbessern lässt, ist die hochaktuelle Fragestellung des SFB/Transregio 62 „Eine Companion-Technologie für kogniti-ve technische Systeme“. Dabei interessiert die beteiligten Ingenieure, Informatiker und Neurobiolo-gen insbesondere, wie sich Emotionen in dieser Kommunikation besser ausdrücken und handhaben lassen. Ziel ihrer Arbeiten ist die systematische und interdisziplinäre Erforschung kognitiver Fähig-keiten – und ihre Realisierung in technischen Systemen. Dabei stehen Eigenschaften wie Individuali-tät, Anpassungsfähigkeit, Verfügbarkeit, Kooperativität und Vertrauenswürdigkeit im Mittelpunkt. Die Realisierung dieser sogenannten Companion-Eigenschaften in kognitiven technischen Systemen soll bewirken, dass diese Systeme von ihren Nutzern als verlässliche, vertrauenswürdige und empha-tische Assistenten wahrgenommen und akzeptiert werden. Damit will der neu eingerichtete SFB/Transregio nicht zuletzt die Grundlagen für eine Technologie schaffen, die menschlichen Nut-zern eine neue Dimension des Umgangs mit technischen Systemen erschließt. (Sprecherhochschule: Universität Ulm; Sprecherin: Professorin Susanne Biundo-Stephan; weitere antragstellende Hoch-schule: Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg; weitere beteiligte Institution: Leibniz-Institut für Neurobiologie, Magdeburg)

Weiterführende Informationen

Weitere Informationen erteilen die Sprecher der Sonderforschungsbereiche.

Ansprechpartner in der DFG-Geschäftsstelle ist Dr. Klaus Wehrberger, Leiter der Gruppe Sonderfor-schungsbereiche, Forschungszentren und Exzellenzcluster, Tel. +49 228 885-2355, Klaus.Wehrberger@dfg.de

Zum 40-jährigen Jubiläum der SFB ist eine Sonderbeilage zum DUZ-Magazin erschienen. Das kom-plette Heft findet sich im Internet unter:
www.dfg.de/forschungsfoerderung/koordinierte_programme/
sonderforschungsbereiche/download/spektrum_beiheft_sfb_0809.pdf

Media Contact

Marco Finetti idw

Weitere Informationen:

http://www.dfg.de/sfb

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