Lehrt die Hochschule bald virtuell?

v.l.n.r.: Janina Strutz, Prof. Dr. Jürgen Cleve, Jens Post, Prof. Udo Onnen-Weber

Die Architekturstudentin Anna-Bettina Gerlach arbeitet zu Hause. Ihre Kommilitonin Kathrin Bauermann sitzt in ihrem Studentenatelier im Neubau des Fachbereichs Architektur der Hochschule. Beide blicken gespannt auf ihre Computer, auf denen Sir Norman Foster, der Architekt des Bundeshauses, per Videokonferenz sichtbar ist und ihnen online und live seine Meinung zum Konzept ihres Diplomentwurfs auf den Bildschirm skizziert. In einem anderen Teilbild unterbricht ihn der Architekturstar Helmut Jahn aus Chicago und zeigt auf eine Internetseite, die Beispiele zu Verbesserungen der Entwurfsidee beinhaltet. Die beiden Architektur-studentinnen der Hochschule Wismar trauen sich kaum, ihre Fragen an die berühmten Architekten zu richten, so dass ihr Professor Udo Onnen-Weber, der aus seinem Büro die Sitzung verfolgt, manchmal unterstützend eingreifen muß. Im Ergebnis haben sie aber nach einer halben Stunde virtueller Entwurfskorrektur von weltweit anerkannten Experten Anregungen bekommen, die normalerweise unerreichbar für sie gewesen wären oder für die sie – für Gespräche von wenigen Minuten – lange und aufwendige Reisen nach England und Amerika hätten machen müssen.

Auch Andreas Gräfe ist zu Hause. Er ist in einer Bank tätig und möchte etwas über Data Mining – Verfahren zur Analyse in grossen Datenmengen – erfahren, da in seiner Bank Kundendaten analysiert werden sollen. Schnell hat er sich via Internet im System DaMiT angemeldet, er findet sofort die gesuchte Information. Fragen und Übungen überprüfen seinen Wissensstand. Er kann sogar die gefundenen statistischen Verfahren direkt auf seine Daten anwenden. Bei Zusatzfragen steht ihm ein Ansprechpartner beispielsweise per E-Mail zur Verfügung.

Liegt die Zukunft der Aus- und Fortbildung in Wismar in solchen und ähnlichen Möglichkeiten des Internet? An den Fachbereichen Architektur und Wirtschaft wird in den nächsten zwei Jahren dieser Frage im Rahmen des BMBF-Förderprogramms „Neue Medien in der Bildung“ nachgegangen. Dieses Prestigeprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung hat jetzt die Bewilligungsphase passiert. Für den Bereich Hochschulen sind 80 Projekte aus allen Fachdisziplinen genehmigt worden und teilen sich die Fördersumme von 390 Mio DM. Der offizielle Förderbescheid für das einzige Architekturprojekt des Programms „IMLAB – Interdisziplinäres modulares Lehrsystem für Architektur und Bauwesen“ das gemeinsam von der Hochschule Wismar, der Fachhochschule Bochum und der Hochschule Anhalt durchgeführt wird, erreichte Anfang dieser Woche die Projektpartner. Der Förderbescheid für „DaMiT – Data Mining Tutor“, einem Verbundprojekt von zehn Hochschulen, liegt schon seit zwei Wochen vor.

Mit IMLAB wollen die drei beteiligten Fachbereiche ein Lehr- und Lernsystem aufbauen, das als Ergänzung zum regulären Präsenzstudium die Chance bietet, durch das technische Potential des Internet Lehr- und Lernort räumlich zu entflechten und damit einen Beitrag zur Zukunftssicherung von Ausbildungsstrukturen aber auch von peripheren Studienorten leistet.

Im Zeitalter der Globalisierung erkennen immer mehr Studierende die Notwendigkeit, ein Studien- oder Praxissemester im Ausland zu absolvieren. Der in Wismar am Fachbereich Architektur neu eingerichtete Masterstudiengang „Architectural Lighting Design“ bedingt durch seine internationale Ausrichtung sogar den multinationalen Studienortwechsel. Als Effekt werden am Fachbereich Architektur in Wismar zunehmend hoch komplexe Studienentwürfe oder Seminarthemen präsentiert, für die sich keiner der weltweit wenigen Fachleute ins ferne Wismar locken ließe – wenn denn überhaupt Geld dafür da wäre. Die Konkurrenz der Hochschulen untereinander bedingt, dass sie neben den herkömmlichen Standortvorzügen auch immer mehr die großen Namen der Branche an sich ziehen müssen. Es müssen also zwangsläufig Lehrtechniken entwickelt und eingeführt werden, die der Mobilität Rechnung tragen und synchrones oder asynchrones Studieren in verteilten Lern- und Lehrgruppen ermöglicht.

IMLAB will in drei Teilprojekten Lösungen dafür erarbeiten: Zum einen soll ein System entwickelt werden, das die Lehr- und Lerninhalte in digitale Module mit didaktisch aufbereitetem Fachwissen umsetzt. Damit bietet sich die Chance, das an verschiedenen Hochschulen vorhandene spezifische Fachwissen hochschulübergreifend zu nutzen. Zum anderen muss die Nutzung von zeitgleichen und zeitversetzten Teleworkingmethoden (Videokonferenzen, Bulletin Boards, Fernseminare, Verteilte Workgroups etc.) entwickelt werden. Auch damit sollen die örtlichen Kompetenzen erweitert und auf zukünftige, gerade im Bauwesen absehbare Arbeitsumgebungen, z.B. der Zusammenarbeit interdisziplinärer Arbeitsgruppen an verschiedenen Orten, vorbereitet werden. Teilprojekt 3 ist die Entwicklung von Fernstudienelementen im Bereich Architektur, der durch stetige Weiterbildungsnotwendigkeiten geprägt ist.

Zusammen mit Prof. Udo Onnen-Weber als Projektleiter werden in Wismar zwei wissenschaftliche Mitarbeiter und eine ganze Reihe studentischer Mitarbeiter das architektur-fachliche und das pädagogisch-didaktische Feld bis ins Jahr 2003 hinein erarbeiten. Erste Ergebnisse werden gegen Ende diesen Jahres in einer virtuellen Lehrveranstaltung der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt. Der Arbeitsfortschritt kann jedoch auch unter http://www.imlab.de verfolgt werden.

Das zweite vom BMBF geförderte Forschungsvorhaben „DaMiT“ geht davon aus, dass unsere Wissensgesellschaft zwingend ein lebenslanges Lernen erfordert. DaMiT – ein „generischer Tutor für Data Mining“ – ist ein System zum Lehren und Lernen im Internet. Data Mining umfasst Verfahren, die auch aus riesengroßen, heterogenen Datenquellen, der Wissensbasis, Informationen herausziehen können. Bei DaMiT ist ist die Wissensbasis austauschbar und erweiterbar. Es kann somit in allen Fachrichtungen eingesetzt werden.

DaMiT wird nicht nur in der Präsenzlehre an den Hochschulen eingesetzt werden, sondern auch in beliebigen Formen des Fernstudiums oder der Weiterbildung in der Firma. DaMiT bietet beste Voraussetzungen für ein dezentrales Lernen, weil beliebige Wissensinhalte eingefügt werden können. Die damit verbundene Austauschbarkeit der Lehrinhalte macht DaMiT nicht nur für Hochschulen, sondern auch für Unternehmen interessant. Mit diesem Projekt reagieren die Hochschulen auf die Forderung der Wirtschaft nach modularen Lehreinheiten, die von beliebigen Standorten abrufbar sind.

Das Projekt „DaMiT“ läuft bis zum 30.9.2003. Projektleiter Prof. Dr. Jürgen Cleve und eine wissenschaftliche Mitarbeiterin sind speziell an der Konzipierung von DaMiT, der Erarbeitung von Lernszenarien für den Einsatz sowie der Erprobung von DaMiT beteiligt. Ein erster Prototyp wird 2002 zur Verfügung stehen. Bereits im Wintersemester 2002 wird DaMiT in der Lehre eingesetzt werden. Mit Ablauf des Projektes wird 2003 das komplette System zur Verfügung stehen.

Im Rahmen von DaMiT soll nicht nur ein generisches Konzept zum Lernen und Lehren im Internet entwickelt und exemplarisch umgesetzt werden. In einem zusätzlichen Modus wird DaMiT seine leistungsfähigen Data-Mining-Verfahren als wirtschaftliche Dienstleistung zur Verfügung stellen.

Informationen: Prof. Udo Onnen-Weber oder Dipl.-Ing.(FH) Jens Post,FB Architektur, Projekt IMLAB
Tel.: (03841) 753 495 und
Prof. Dr. Jürgen Cleve oder Dipl.-Wirt.inf.(FH) Janina Strutz, FB Wirtschaft, Projekt DaMiT
Tel.: (03841) 753 – 527

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Dipl.-Ing. Kerstin Baldauf idw

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