Forschungsprojekt begleitet verschuldete Familien

Das wollen Kommunikations- und Sozialwissenschaftler der Universität Duisburg-Essen (UDE) untersuchen. Ihr neues Projekt „Identitätsarbeit unter Druck“ wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit 270.000 Euro gefördert.

16 Familien aus der Region, die sich in einer solchen Lage befinden, werden in den nächsten drei Jahren von Prof. Dr. Jo Reichertz und zwei Wissenschaftlerinnen begleitet.

„Wir wollen so nah wie möglich an ihre Lebenswelt heran: Was geschieht, wenn Menschen bemerken, dass sie erheblich mehr ausgeben als einnehmen und ihrer Schulden nicht mehr Herr werden können?“, beschreibt der Projektleiter den Ansatz. „Kommuniziert man diese Entwicklung oder verbirgt man sie vor Freunden, Nachbarn, Kollegen und sogar vor dem Partner? Wie ändern sich durch die Überschuldung das Selbstbild und das Fremdbild?“

Einmal pro Jahr sollen die Teilnehmer interviewt werden, einzeln und in der Familie. Die Forscher werten anschließend nicht nur diese Aufzeichnungen aus, sondern auch den Schriftwechsel mit Banken und Ämtern. Außerdem wird es offene Gruppendiskussionen mit mehreren Familien geben.

Es kann jedem passieren: Gestern noch ein aufstrebender Jungmanager, heute tief im Dispo und mit schlaflosen Nächten wegen der laufenden Kredite. Hinzu kommt die Sorge, wie die anderen darauf reagieren. „In derartigen Situationen muss man neu definieren, wer man ist. Unsere Identität bestimmen wir allerdings nicht allein, sie wird kommunikativ ausgehandelt, im Umgang mit anderen“, erklärt Reichertz, der gespannt ist, welche Lösungswege die Befragten einschlagen. Manche schieben vielleicht die Schuld auf den Staat oder die Wirtschaft, während andere eventuell aussteigen und sich anders verwirklichen. Ob sie dabei Hilfe annehmen und wie sie mit ihrem sozialen und personalen Umfeld umgehen, interessiert die Wissenschaftler besonders. Denn solche Prozesse wurden bisher in der Mittelschicht noch nicht untersucht.

Das Projekt beleuchtet damit auch unsere Gesellschaftsordnung: Aus Sicht der Politik gehören etwa 60 Prozent der Menschen in Deutschland zur Mittelschicht. Diese Klasse fängt bereits bei Nettolöhnen um 1.000 Euro an. Davon könne jedoch niemand sorgenfrei leben, und daher müsse man hinterfragen, ob die Einteilung noch zutreffend sei, so Reichertz.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Jo Reichertz, Tel. 0201/183-2810, jo.reichertz@uni-due.de

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Katrin Koster idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-due.de

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