Vom Kreuzzug gegen Dicke

Übergewicht und Adipositas gelten als die größte gesundheitspolitische Herausforderung der Zukunft. In den USA wird Übergewicht mittlerweile als Todesursache Nummer 1 noch vor dem Risikofaktor Rauchen geführt. Auch hierzulande werden, spätestens seitdem die ehemalige Verbraucherschutzministerin Renate Künast das Thema zur Chefsache erklärt hatte, Übergewicht und Adipositas nicht länger als ein medizinisches oder ästhetisches Problem, sondern als ein gesellschaftliches Problem angesehen.

Mit den unterschiedlichen Aspekten der Problematisierung von Übergewicht und Adipositas beschäftigen sich die beiden Sozialwissenschaftler Henning Schmidt-Semisch vom Fachbereich 11 Human- und Gesundheitswissenschaften und Friedrich Schorb vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen. In dem von ihnen herausgegebenen Sammelband „Kreuzzug gegen Fette. Sozialwissenschaftliche Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit Übergewicht und Adipositas“ plädieren sie für einen weniger alarmistischen und dafür umso reflektierteren Umgang mit dem Phänomen „dicker Bauch“.

Die Beiträge des Bandes verfolgen den gesellschaftlichen Diskurs um Übergewicht und Adipositas ideengeschichtlich bis ins antike Griechenland zurück, um zu verdeutlichen, wie die gesellschaftliche Thematisierung von Übergewicht und Adipositas in der gesamten abendländischen Geschichte zur Kontrolle der Körper genutzt wurde. Auf die aktuelle Debatte bezogen merken sie an, dass die Darstellung von Adipositas als Epidemie und Gesundheitsrisiko Nummer 1 nicht nur umstritten ist, sondern häufig auch konkret benennbaren ökonomischen und gesellschaftspolitischen Interessen dient. Dies wird u. a. im Kontext der jüngeren Debatten über eine vorgebliche „Kultur der Armut“ deutlich, in der Adipositas zunehmend zum sichtbaren Ausdruck aller jener Verhaltensweisen wird, die man den „neuen Unterschichten“ zum Vorwurf macht. Kritisiert wird von den Autoren des Bandes zudem, dass die aktuelle Dramatisierung der Übergewichtsthematik zu einer auch in psychosomatischer Hinsicht problematischen Verstetigung von Schlankheitsidealen insbesondere bei Mädchen und jungen Frauen führen kann.

Neuerscheinung: Henning Schmidt-Semisch & Friedrich Schorb (Hrsg.) Kreuzzug gegen Fette. Sozialwissenschaftliche Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit Übergewicht und Adipositas. VS-Verlag, Wiesbaden 2008, 242 S., 24,90 €

Weitere Informationen

Universität Bremen
Zentrum für Sozialpolitik
Friedrich Schorb
Tel: 0421/218-9389
E-Mail: fschorb@zes.uni-bremen.de
E-Mail: schmidt-semisch@uni-bremen.de

Media Contact

Eberhard Scholz idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-bremen.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Studien Analysen

Hier bietet Ihnen der innovations report interessante Studien und Analysen u. a. aus den Bereichen Wirtschaft und Finanzen, Medizin und Pharma, Ökologie und Umwelt, Energie, Kommunikation und Medien, Verkehr, Arbeit, Familie und Freizeit.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Das Mikrobiom verändert sich dynamisch und begünstigt wichtige Funktionen für den Wirt

Ein interdisziplinäres Forschungsteam des Kieler SFB 1182 untersucht am Beispiel von Fadenwürmern, welche Prozesse die Zusammensetzung des Mikrobioms in Wirtslebewesen steuern. Alle vielzelligen Lebewesen – von den einfachsten tierischen und…

Wasser im Boden – genaue Daten für Landwirtschaft und Klimaforschung

Die PTB präsentiert auf der Woche der Umwelt, wie sich die Bodenfeuchte mithilfe von Neutronenstrahlung messen lässt. Die Bodenfeuchte hat nicht nur Auswirkungen auf die Landwirtschaft, sondern ist als Teil…

Bioreaktor- und Kryotechnologien für bessere Wirkstofftests mit humanen Zellkulturen

Medizinische Wirkstoffforschung… Viele Neuentwicklungen von medizinischen Wirkstoffen scheitern, weil trotz erfolgreicher Labortests mit Zellkulturen starke Nebenwirkungen bei Probanden auftreten. Dies kann passieren, wenn zum Beispiel die verwendeten Zellen aus tierischem…

Partner & Förderer