Gefährdet Rückgang von Bestäuberarten Vielfalt und Produktion von Kulturpflanzen?

Ist die Produktion und Vielfalt unserer Kulturpflanzen durch den Rückgang vieler Bestäuberarten gefährdet? Diese Frage behandelt ein am 25 Oktober 2006 in den „Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences“ veröffentlichter Übersichtsartikel, nachdem eine kürzlich in „Science“ publizierte Studie erstmals den parallelen Rückgang von Wildbienen und den von ihnen bestäubten Wildpflanzen nachwies. Mitautor ist der neue Bayreuther Popuklationsökologe Professor Dr. Ingolf Steffan-Deventer.

Bis heute gibt es nur grobe Schätzungen, wie viele der für die menschliche Ernährung wichtigen Kulturpflanzen von der Bestäubung durch Tiere, primär Bienen, abhängen. Eine Gruppe von Wissenschaftlern aus Deutschland, Frankreich, Australien und den USA analysierten die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten für die 115 weltweit wichtigsten Kulturpflanzen aus über 200 Ländern. Sie ermittelten, welcher Anteil der Erträge direkt von Bestäubern abhängt.

Die Produktion der Mehrzahl der weltweit wichtigsten (87 von 115) Obst-, Gemüse-, Gewürz-, Öl- und Genusspflanzen profitiert von Bestäubern, meistens Bienen und Hummeln. Schätzungsweise 35% der Produktion von Kulturpflanzen hängen direkt oder indirekt von Bestäubern ab. Ohne Bestäuber wäre die Vielfalt menschlicher Nahrung nicht gewährleistet, auch wenn die Produktion von Grundnahrungsmitteln wie Getreide, Mais und Reis nicht von Tierbestäubung abhängt.

Im Detail zeigte sich, dass nur wenige Kulturpflanzen ausschließlich Früchte tragen, wenn Bestäuber verfügbar sind oder der Mensch die Blüten mit der Hand bestäubt. Hierzu zählen Kakao, einer der wichtigsten Kulturpflanzen der Tropen, sowie die vitaminreichen und sehr schmackhaften Annona-, Maracuja- Kiwi- und Sapodillafrüchte, Vanille, verschiedene Kürbissorten, Wassermelonen, Para- und Macadamianüsse. Die meisten Kulturpflanzen zeigten Produktionssteigerungen durch Tierbestäubung zwischen 5 und 50 %.

Das Wissenschaftsteam konnte anhand von Studien an neun Kulturpflanzen, die auf vier Kontinenten durchgeführt wurden, zeigen, dass die Zerstörung naturnaher Lebensräume und die Intensivierung der Landwirtschaft wildlebenden Bienen, Hummeln und andere Insektenbestäubern die Lebensgrundlage entzieht. Dadurch stehen nicht mehr genügend Bestäuber zur Verfügung und die Bestäubungsleistung für Kulturpflanzen ist reduziert. Die Wissenschaftler fordern als Konsequenz ihrer Ergebnisse eine Bestäuber-gerechte Gestaltung von Landschaftsräumen, um den positiven Beitrag von Bestäubern für die Produktion vieler Kulturpflanzen zu sichern.

„Unsere Ergebnisse beweisen zum ersten Mal, dass die Produktion sehr vieler Kulturpflanzen durch den Rückgang der Bestäubervielfalt negativ beeinflusst wird, wohingegen unsere Grundnahrungsmittel nicht darunter leiden“, so die Erstautorin und Göttinger Agrarökologin Alexandra Klein.

Die Imkerei gehe in vielen Regionen der Welt zurück und viele Kulturpflanzen würden effizienter und einige ausschließlich durch wildlebende Tiere bestäubt. Manche Bestäuber können sehr schwer in unseren Kulturlandschaften leben.

Klain: „Dies könnte dazu führen, dass vitamin- und nährstoffreiche Pflanzenprodukte mit zunehmender Zerstörung von Bestäuber-Lebensräumen teurer werden. Das könnte wiederum zu einer unausgewogen Ernährung und Gesundheitsproblemen führen. In manchen Ländern ist dies der Fall: Maracuja in Brasilien wird z.B. kaum noch durch Bienen, sondern teuer per Hand durch Tagelöhner oder durch Familienmitglieder, meistens Kinder, bestäubt, weil Insektizide in der Landwirtschaft und die Zerstörung des Regenwaldes den natürlichen Bestäubern, großen Holzbienen, ihre Lebensgrundlagen entziehen.

Menschen in Städten von Brasilien können sich teure Früchte und Gemüse nicht leisten und ernähren sich vorwiegend von billigem Zucker, Fleisch und Ölen, um die Großfamilie zu ernähren. Die unausgewogene Ernährung führt in den armen Schichten der Bevölkerung oft zu Übergewicht.“

Der neue Bayreuther Professor für Populationsökologie der Tiere, Dr. Ingolf Steffan-Dewenter, Mitautor der Studie, erläutert: „Dass relative wenige Kulturpflanzen zwingend auf Bestäuber angewiesen sind, liegt an den Sicherungsmechanismen, z.B. Selbstbestäubung, über die viele Pflanzen verfügen, um sich im Notfall vermehren zu können. Aktuelle Untersuchungen zeigen jedoch, dass artenreiche Bestäuber-Lebensgemeinschaften die Menge, Qualität und Ertragsicherheit auch für viele nicht obligat fremdbestäubte Kulturpflanzen wie z.B. Hochlandkaffee und Raps erhöhen. Die Vielfalt an Bestäubern geht in vielen Gebieten der Welt durch die Zerstörung ihrer Lebensräume und die Intensivierung der Landwirtschaft zurück. Dadurch bedrohen wir kostenlose und ökonomisch wertvolle Ökosystemleistungen wie die Bestäubung von Kulturpflanzen.“

Und eine weitere Mitautorin, die Göttininger Professorin Dr. Teja Tscharntke hält fest: „Das nachhaltige Management von Ökosystemleistungen, zu denen die Bestäubung von Kulturpflanzen gehört, erfordert eine holistische Perspektive. Die große Artenvielfalt von Bestäubern kann nicht allein durch Maßnahmen auf der Ebene des Feldes oder des landwirtschaftlichen Betriebs gewährleistet werden, sondern benötigt komplexe, bunte Landschaften mit ihrem Reichtum an blühenden Pflanzen und Nistgelegenheiten. Zudem hängt die Stabilität des Fruchtertrags nicht nur von der Bestäubung ab, sondern auch von anderen Ökosystemleistungen wie der biologischen Schädlingsbekämpfung. Denn nur bei wenig gestressten Pflanzen kann erwartet werden, dass ihr Ertrag von einer Zunahme der Bestäubungsleistungen profitiert. Folglich brauchen wir Kulturlandschaften, die sorgfältig für eine Vielfalt funktionell wichtiger Organismengruppen gemanagt werden, um die vielen wichtigen Ökosystemleistugen, zu denen unter anderem die Bestäubung, die biologische Kontrolle von Schädlingen und Pathogenen, die biologische Unkrautbekämpfung und die Zersetzung der Streu gehören, nachhaltig zu sichern.

Kontakte für weitere Informationen

Dr. Alexandra Klein
Departement für Nutzpflanzenwissenschaften, Abteilung Agrarökologie, Universität Göttingen,
Tel: 0551-392257 (Büro),
Email: aklein2@gwdg.de
Hauptautor mit guter Übersicht zu allen Aspekten der Studie.
Prof. Ingolf Steffan-Dewenter
Tierökologie, Universität Bayreuth,
Tel: 0921 552645
Email: Ingolf.Steffan@uni-bayreuth.de
Honig- und Wildbienen in der Agrarlandschaft, Pflanze-Bestäuber-Interaktionen, Ökonomischer Wert der Bestäubung, räumliche Ökologie
Prof. Dr. Teja Tscharntke
Departement für Nutzpflanzenwissenschaften, Abteilung Agrarökologie
Universität Göttingen,
Tel: 0551-399209
Email: ttschar@gwdg.de,
Pflanze-Insekten-Interaktionen, Landschaftsökologie

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Jürgen Abel M. A. idw

Weitere Informationen:

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